Digitalisierung im Personal- und Vertragsbereich
Wie wirkt sich die Digitalisierung auf Human Resources und das Vertragswesen aus? Myrta Mohler und Thomas Perroulaz geben im Interview ihre Sicht darauf.
Digitalisierung ist ein oft diskutiertes Thema – und das ist auch gut so. Denn entgegengesetzt der verbreiteten «Hoffnung», es sei dann auch mal vorbei damit, ist die Digitalisierung nicht ein endlicher Prozess. Vielmehr handelt es sich um ein sich dauernd weiterentwickelndes Thema. Der technologische Fortschritt wird nicht irgendwann einfach stoppen. Es liegt in der menschlichen Natur, sich stets weiterzuentwickeln und Neues voranzutreiben. Ebenso ist es eine Tatsache, dass die technologische Kurve der gesellschaftlichen immer einen, oft leider auch mehrere Schritte voraus ist.
Dies liegt auch daran, dass zu Beginn oft noch nicht absehbar ist, welchen Einfluss eine neue oder weiterentwickelte Technologie haben wird und welche Felder davon betroffen sein werden. So kommt es, dass es z.B. in der Bildung oder auch im Recht noch grosse Lücken gibt, wenn es darum geht, sich an die neusten Entwicklungen anzupassen und diese in die jeweilige Praxis aufzunehmen.
Und während wir doch schon länger darüber diskutieren, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden hat in punkto Organisation, Arbeitsplatzsituation etc., so gilt es auch, die Frage zu stellen, wie sich die Digitalisierung auf Human Resources auswirkt – über das reine Recruiting hinaus. Wie werden künftig z.B. Leistungen bzw. Stunden erfasst, wenn immer mehr Mitarbeitende online und remote arbeiten oder wie sieht es mit der Unfallversicherung aus? Wie werden die Grenzen gezogen, ob es sich um einen Arbeitsunfall handelt, wenn Mitarbeitende nicht vor Ort und zeitlich sehr fluid tätig sind? Solche und weitere Fragen haben wir mit Myrta Mohler, HR-Leiterin Digicomp und Thomas Perroulaz, Business-Consultant, geklärt.
Ganz allgemein gefragt: Wie spürt ihr in eurem Arbeitsalltag die Digitalisierung?
Thomas: Als «Finanzmann» spüre ich die Digitalisierung schon sehr lange und sehr stark, ein unendlicher Prozess. Seit 1981 gehört der PC zur Grundausstattung eines Büros … und seither jagt eine Innovation die andere; immer bessere Speichermedien, Internet, integrierte und vernetzte Buchhaltungsprogramme, elektronische Workflows, Dokumente in der Cloud, um nur einige zu nennen. Das Papier als Träger allgemeiner Informationen wird immer mehr verdrängt. Es findet ein irreversibler Prozess der Entmaterialisierung der schriftlichen Kommunikation im klassischen Sinn statt und Vorgänge und Prozesse, die bis anhin unabhängig voneinander gelaufen sind, vernetzen sich.
Myrta: Seit ca. 20 Jahren wird von der Digitalisierung gesprochen. Vom hippen Trendwort hin zur Realität – heute stehen wir inmitten des Wandels und soweit ich es mitbekomme, wird hier niemand und keine Branche bzw. Nische verschont. Versprochen wurde Vereinfachung und verunsichert wurde mit Job-Rezession, da die Technologie in der Organisation einen grossen Teil übernehmen werde. Ich stelle heute fest, dass die Digitalisierung in der heutigen Geschwindigkeit zur Komplexität aufruft und viele neue Jobrollen generiert und erfordert.
«Was für ein interessantes Spannungsfeld vor allem im HR-Bereich!»
Und wie sieht das konkret für euren Arbeitsbereich aus?
Thomas: Rechnungswesen und HR sind im steten Wandel. Die Systeme wachsen weiter zusammen. Was gestern noch mit Papier verschickt wurde, wird heute elektronisch abgerechnet. Via ELM, elektronischem Lohnmeldeverfahren, entfällt beispielsweise der manuelle Bericht. Lohnabrechnungen werden bald nur noch elektronisch verschickt. Kursleiter/-innen werden bei Digicomp automatisiert via Salesforce abgerechnet und dank automatischer Integration in Lohn und Kreditoren automatisiert bezahlt. Stetig wird in der Abwicklung weiter automatisiert und vernetzt.
Myrta, wie digital ist der Recruiting-Prozess der Digicomp? Wo setzt ihr auf Digital und wo nicht? Warum?
Bei Digicomp startet der digitale Recruiting-Prozess bei der Publikation einer Vakanz auf unserer Webpage, über unser CRM in Salesforce. Valable Kandidatinnen und Kandidaten können dann elektronisch mit einem Device oder auch mit dem Mobile ihre Bewerbung einreichen bzw. auf unserer Bewerbungsplattform hochladen. In einem nächsten Schritt setzen wir immer noch auf das konventionelle 1. Bewerbungsinterview mit dem persönlichen Austausch vor Ort, das dem gegenseitigen Kennenlernen dient und die Bedürfnisse der Kandidaten bzw. die Anforderungen der Stelle und Kultur des Arbeitgebers abwägt. Warum nicht per Skype, Hangout, Facetime oder Whatsapp? Wir setzen auf den Menschen, die Persönlichkeit, die hinter einer Bewerbung steckt, die wir auch in unserem Slogan «Digital Competence. Made of People» ausdrücken. Um ein wirklich spürbares Erlebnis im gegenseitigen Austausch zu erfahren, braucht es die Atmosphäre, (Körper-)Haltung, Einstellung und entsprechend die Anwesenheit aller in selben Raum.
Thomas, du als Datenschutzbeauftragter: Worauf gilt es insbesondere zu achten, wenn es um digitalisierte Prozesse geht im Human-Resource-Bereich?
Im HR fallen eine Vielzahl von Personendaten an; von einfachen Personendaten wie Name, Vorname, Sozialversicherungsnummer, hin zu besonders schützenswerten Daten wie Religion oder seelischer/körperlicher Zustand. Diese Daten gilt es zu schützen, im Zugriff wie auch in der digitalen Bearbeitung.
Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die Anstellung von neuen Mitarbeitenden? (Verlangen z.B. mehr Leute nach remote, oder finden Bewerbungsgespräche online statt)
Myrta: Da habe ich mit einer der vorhergehenden Fragen bereits weitgehend geantwortet. Natürlich gibt es auch auf der Bewerberseite Situationen, die z.B. ein Erstinterview begründet online wünschen. Hier sind wir natürlich offen und entsprechen gerne auch mal mit einem anderen Prozess.
Wie sieht es bei den Arbeitsverträgen aus? Gibt es da Anpassungen, die aufgrund der Digitalisierung vorgenommen werden mussten?
Myrta: Beim Arbeitsvertrag gerade nicht, einzig vielleicht bei der Funktion – hier beschreiben wir neu die Hauptrolle. Wie ich eingangs erwähnt habe, fallen mit der Digitalisierung in einer flachen Hierarchie die klassischen Stellenbeschreibungen mit einer Funktion weg.
Ein Stellenprofil im Wandel setzt sich von Mal zu Mal aus neuen Rollen zusammen und ändert sich stetig.
Was aber sicher ständig überprüft und dem digitalen Wandel angepasst werden muss, sind die integrierten Bestandteile wie Personalreglement und die dazugehörenden Weisungen, u.a. der Umgang mit Informatikmitteln mit all den sich rasch entwickelnden Apps und Gadgets.
Thomas, ganz allgemein: Wie hat sich das Vertragsrecht und die Handhabung verändert, seit Digital so verbreitet ist?
Die Verfügbarkeit schneller digitaler Kommunikation (Mail, Internet, Plattformen etc.) hat sich auch im Vertragsrecht durchgesetzt. Die Auswirkungen der digitalen Kommunikation auf die Gesetzgebung im Bereich des OR sind allerdings weit geringer ausgefallen, als man meint. Die meisten Verträge können formlos, also insbesondere auch per Mail formgültig abgeschlossen werden. Der Abschluss eines Vertrags per Mail hat gegenüber einem mündlichen Vertrag den wesentlichen Vorteil, dass er nicht bloss durch Zeugenbeweis, sondern durch Urkundenbeweis mittels elektronisch gespeicherter Daten nachgewiesen werden kann. Zwar erfüllen Willenserklärungen per Mail die Anforderungen der obligationenrechtlichen Schriftlichkeit nicht, jedoch die prozessrechtlichen Anforderungen an einen Urkundenbeweis. Insofern ist die digitale Kommunikation von erheblichem praktischen Nutzen im Vertragsrecht.
Myrta, widerspricht die genaue Zeiterfassung nicht dem digitalen Arbeiten?
Ja, natürlich widerspricht das der Flexibilisierung bzw. dem «Wo (Örtlichkeit) immer, wie (Technologie/Remote) immer und wann (Tag/Nacht) immer»-Modus, in dem man seinen Beitrag für das Unternehmen leistet. Auch wir in der Digicomp unterstehen dem Arbeitsgesetz und der obligatorischen Zeiterfassung und halten uns an diese Vorgaben. Unsere Mitarbeitenden werden in die Arbeitszeiterfassung eingeführt und zur Pausen- und Ferienregelung angehalten. Hier setzen wir im Rahmen der Jahresarbeitszeit/Vertrauensarbeitszeit auf den XMV (gesunder Menschenverstand) eines jeden modernen Wissensarbeiters und aller Arbeitnehmenden, die flexiblen Arbeitsformen nach wie vor zu nutzen und entsprechend zu dokumentieren.
Blick in die Kristallkugel: Wie sieht euer Arbeitsbereich in 5 Jahren aus?
Thomas: Die Digitalisierung wird weitergehen. Algorithmen werden noch bessere Steuerungsaufgaben übernehmen können. Heutige manuelle Prozess (z.B. Kursraum-Disposition) werden weiter automatisiert. Verträge können maschinell ausgelesen und bewertet werden. Buchungs-Erkennungssysteme werden Rechnungswesen und Lohnbuchhaltung automatisieren.
… und Sender oder Chips werden Rapportierungs- und Überwachungsfunktionen übernehmen (z.B. die Zeiterfassung) und Einkäufe automatisieren (z.B. automatischer Ticketkauf ÖV).
Eine grosse Herausforderung für den Datenschutz!
Myrta: Hier kann ich mich den Worten von Thomas anschliessen, die Digitalisierung wird immer schneller fortschreiten. Die klassischen Prozesse im HR wie Recruiting, Onboarding, Learning and Development, Administration bis zum Austrittsprozedere werden weitgehend von Technologien oder anderen Plattformen abgelöst oder eben automatisiert.
Die strategischen HR-Beiträge sehe ich in Zukunft von Gestaltern/Agents für die Employee Experience, in Themen wie Selbstorganisation, -management, -verwirklichung, individuelle Lösungsfindung, ganzheitliche Optimierung, Netzwerkaktivitäten u.v.m. Denn HR erfährt nicht nur in der Digitalisierung einen Wandel sondern auch im viel beschriebenen Thema der X-, Y- und Z-Generations. Diese Nachkommen stehen vor allem für einen Wertewandel, wichtig sind für sie u.a. Spass an den Aufgaben, sinn- und wirkungsvolle Zusammenarbeit, Arbeitswelt 4.0 ist gefragt. Um diese Talente zu gewinnen und den Cultural-Fit überhaupt zu ermöglichen, sind wir im HR mit dem Employer Branding und der Unternehmenskultur weiterhin herausgefordert.