Die rasante Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen in Governance und Risikomanagement. Ein systematisches Vorgehen ist nötig, um vertrauenswürdige KI-Systeme zu entwickeln und einzusetzen. Hier kommt ISO/IEC 42001 ins Spiel – der weltweit erste Standard für KI-Managementsysteme (KIMS).
ISO/IEC 42001:2023 (im Folgenden kurz ISO 42001) ist der erste internationale Standard, der Anforderungen an ein KI-Managementsystem (KIMS) definiert. Der Standard bietet einen strukturierten Rahmen für Organisationen, um KI sicher, verantwortungsvoll und im Einklang mit geltenden Vorgaben und definierten Zielen zu gestalten und zu nutzen.
ISO 42001 ist branchenunabhängig und für jede Organisation relevant, die KI-Systeme entwickelt oder nutzt. Insbesondere Organisationen mit datengetriebenen Geschäftsmodellen, kritischen Entscheidungsprozessen oder hohem Automatisierungsgrad sollten sich angesprochen fühlen. C-Level-Entscheider und Fachabteilungen (IT, Data Science, Risk, Compliance etc.) profitieren gleichermassen von einem KIMS, da der Standard hilft, Rollen und Verantwortlichkeiten im KI-Kontext klar zu regeln und Risiken zu kontrollieren. ISO 42001 adressiert dabei den gesamten Lebenszyklus von KI-Systemen – von der Konzeption und Entwicklung über die Implementierung bis zur laufenden Überwachung und Wartung.
Während ein KIMS nach ISO 42001 auch ohne Zertifizierung bereits Nutzen stiftet, indem es KI-Risiken mindert und das Erreichen definierter KI-Ziele fördert, bringt eine Zertifizierung weitere Vorteile. Organisationen können damit gegenüber Dritten nachweisen, dass sie KI strukturiert und verantwortungsbewusst einsetzen. Konkret ermöglicht ein nach ISO 42001 zertifiziertes KIMS unter anderem folgenden Nutzen.
Eine ISO 42001-Zertifizierung belegt gegenüber Stakeholdern, dass KI-Systeme verantwortungsvoll entwickelt und betrieben werden. Das schafft Vertrauen bei Kunden, Partnern, Aufsichtsbehörden und der Öffentlichkeit. Gerade in sensiblen Bereichen (z. B. Finanz- oder Gesundheitswesen) kann dies ein entscheidender Wettbewerbsvorteil sein.
Der Standard fordert die Berücksichtigung von Sicherheit, Fairness, Transparenz und Qualität der Daten und Modelle über den gesamten KI-Lebenszyklus. Unternehmen stellen so sicher, dass ihre KI-Systeme robust, nichtdiskriminierend und nachvollziehbar funktionieren. Risiken wie fehlerhafte Vorhersagen oder Verzerrungen (Bias) werden reduziert.
Die Zertifizierung zeigt, dass der KI-Einsatz strategisch geplant ist und klaren Zielen folgt. Etablierte Governance-Strukturen sichern Rechenschaftspflicht und verdeutlichen intern wie extern: KI wird nicht unkontrolliert, sondern aktiv gesteuert und überwacht.
ISO 42001 unterstützt dabei, KI-Innovation mit einem wirksamen Risikomanagement zu verbinden. Unternehmen können flexibel experimentieren, behalten dabei aber die Kontrolle – eine Voraussetzung für nachhaltige Innovation.
Ein KIMS identifiziert, bewertet und behandelt Risiken systematisch. Sicherheitsvorkehrungen – von Datenschutz über IT-Sicherheit bis Ethik – müssen greifen, bevor KI-Systeme produktiv gehen. So werden Schwachstellen proaktiv adressiert und die Wahrscheinlichkeit für Zwischenfälle reduziert.
Die Norm definiert Anforderungen an KI-Kontrollmassnahmen einschliesslich Prozesse für Datenqualität, Lebenszyklus- oder Vorfallmanagement. Standardisierte Abläufe verbessern die interne Zusammenarbeit, sparen Zeit und reduzieren Fehler. Die geforderte kontinuierliche Verbesserung stärkt die langfristige Optimierung.
Zusammengefasst bietet eine ISO 42001-Zertifizierung den Nachweis eines verantwortungsvollen KI-Managements, was nicht nur interne und externe Anforderungen erfüllt, sondern auch Geschäftsnutzen stiftet.
Einerseits tritt die Schweiz als Innovationsstandort auf – viele hiesige Firmen wollen KI-Technologien schnell nutzen. Andererseits bestehen gesetzliche und regulatorische Anforderungen, die auch beim Einsatz von KI gelten. Drei Punkte sollen hier besonders hervorgehoben werden:
Für Organisationen, die noch am Anfang stehen, mag der Aufbau von KI-Governance und eines KIMS komplex wirken. Folgende Empfehlungen helfen beim Start:
Ist-Situation durchleuchtet und Potenziale erheben: Es lohnt sich, sich einen Überblick zu verschaffen: Welche KI-Anwendungen existieren bereits in der Organisation, und welche sind geplant? Mittels einer Potenzialanalyse können mögliche neue KI-Anwendungsfälle und deren Nutzen und Risiken erhoben werden.
Management Commitment schaffen: Für eine erfolgreiche Umsetzung und auch den langfristigen Erfolg eines Managementsystems ist die Unterstützung der obersten Leitung der Organisation zwingend erforderlich. Hier kann z.B. ein möglichst praktisch orientierter Workshop mit den zuständigen Entscheidern helfen, die nötige Begeisterung zu wecken. Als Grundlage für einen Projektentscheid sollte auch ein Business Case erarbeitet werden.
Externen Rat einholen: Insbesondere am Anfang kann es sinnvoll sein, Expertise von aussen beizuziehen. Berater können helfen, typische Fallstricke zu vermeiden und eine pragmatische Roadmap zu erstellen. Über entsprechende Schulungen können Schlüsselpersonen sich das nötige Wissen anzueignen. Ebenso lohnt ein Blick in relevante Leitlinien z.B. von ISO, NIST oder BSI, sowie allfällige Brancheninitiativen, um von Best Practices zu lernen.
Ressourcen und wo aufbauen: Es muss sichergestellt werden, dass ausreichende Ressourcen vorhanden sind, um ein KIMS aufzubauen. Das betrifft Budget, Zeit und Personal. Im KIMS-Projektteam muss wahrscheinlich zuerst Wissen aufgebaut werden, so dass entsprechende Schulungen sinnvoll sein können. Weiter empfiehlt sich die Benennung eines KI-Koordinators oder und der Aufbau eines KI-Ausschusses, um das Thema intern zu verankern.
Stakeholder ins Boot holen: Möglichst früh sollte ein übergreifendes Bewusstsein geschaffen werden. Es lohnt sich, frühzeitig interne und externe Anspruchsgruppen einzubeziehen, um deren Bedürfnisse und Erwartungen an den KI-Einsatz zu ermitteln.
Viele Organisationen verfügen bereits über ein ISMS nach ISO/IEC 27001 oder ein Qualitätsmanagementsystem nach ISO 9001. Ein KIMS nach ISO 42001 lässt sich nahtlos in bestehende ISO-Managementsysteme integrieren. Der Standard folgt – wie ISO 27001 und ISO 9001 – der High Level Structure (Annex SL) mit Abschnitten zu Kontext, Führung, Planung, Betrieb, Bewertung und Verbesserung. Dies erleichtert die Kombination mehrerer Managementsysteme erheblich. Bestehende Strukturen können weiterverwendet und gezielt ergänzt werden – statt ein separates System aufzubauen.
Zusammenfassend profitieren Organisationen also von bereits vorhandenen Managementsystemen, indem sie ein KIMS als Teil eines integrierten Managementsystems aufbauen, in welchem diverse Synergien genutzt werden können.
Organisationen ohne systematisches KI-Management setzen sich erheblichen Gefahren aus. Kurzfristig spart man Aufwand, doch mittelfristig gefährdet mangelnde Steuerung die Grundlage des Erfolgs – ein Skandal oder Zwischenfall kann alles zunichtemachen.
Unkontrollierte KI kann verzerrte Ergebnisse liefern – etwa diskriminierende Recruiting-Algorithmen oder rassistische Gesichtserkennung. Wird dies zu spät erkannt, drohen Vertrauensverluste, Imageschaden und juristische Konsequenzen.
Neue Gesetze verlangen Nachweise wie Dokumentation, Erklärbarkeit oder Datenschutzfolgeabschätzungen. Ohne strukturiertes KI-Management drohen Marktbarrieren, Bussen oder Haftung.
Fehlendes Monitoring kann dazu führen, dass Systeme unbemerkt falsche oder gefährliche Ergebnisse liefern. Sicherheitslücken bleiben unerkannt, was zu Cyberrisiken und potenziell hohem Schaden führt.
Ohne klare Strategie verfehlen KI-Projekte den Bedarf, Ressourcen werden verschwendet. Modelle scheitern an Compliance-Anforderungen oder mangelndem Vertrauen. Doppelarbeiten entstehen, Synergien bleiben ungenutzt.
Fehlt ein nachvollziehbares Framework, sinkt das Vertrauen in KI – bei Mitarbeitenden ebenso wie bei Kundschaft. Potenziale bleiben ungenutzt, weil Akzeptanz fehlt.
Derzeit ist die Anwendung von ISO 42001 freiwillig. Allerdings stellt sich die Frage, ob ISO 42001 in Zukunft eine ähnliche Rolle einnehmen könnte wie ISO 27001 im Bereich Informationssicherheit: Formal freiwillig, aber faktisch in vielen Branchen erwartet oder vorausgesetzt.
Mehrere Entwicklungen deuten darauf hin, dass die Bedeutung von KI-Management-Zertifizierungen stark zunehmen wird:
Für KMU ohne kritische KI-Anwendungen dürfte ISO 42001 vorerst freiwillig bleiben. Hochrisiko-Anwendungen und grosse Anbieter werden möglicherweise hingegen zunehmend unter Zertifizierungsdruck geraten – teils durch Regulierung, teils durch Markterwartungen. Eine ähnliche Entwicklung zeigte sich bei ISO 27001.
Unabhängig von einer Pflicht wird ISO 42001 an Bedeutung gewinnen. Frühe Zertifizierungen stärken die Position im Markt und bieten Vorsprung bei künftigen Regulierungen.
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