Trends & Hypes – Wie hält es Oli damit als Expert im Bereich Management?
«Eine funktionierende digitale Strategie für Unternehmen beginnt bei der persönlichen Helden-Reise jedes Mitarbeitenden», so Oli Müller. Mehr dazu hier.
In unserer Serie «Trends & Hypes» zeigen wir auf, wie unterschiedliche Experts aus verschiedenen Bereichen sich auf dem Laufenden halten. Welche Tools und Plattformen benutzen sie, wie sieben sie die Informationen aus und wie binden sie das gewonnene Wissen in ihre persönlichen digitalen Strategien ein? Heute mit Oliver Müller, Business Developer bei Digicomp.
Oli, «Mastering Digital Change», wie sieht das bei dir im Alltag aus?
Ich habe eine gespaltene Persönlichkeit 😉 Ich arbeite meist mit G-Suite und habe etwa neun verschiedene Konten, um meine Projekte auseinanderzuhalten. Früher hatten wir Papier, dann eine digitale Ordnerablage. Damit bin ich persönlich nie wirklich zurechtgekommen, da ich bezüglich Ablage faul bin. Meine Konten sind aber mehr als E-Mail oder Google Drive: Je nach Projekt sind über die Accounts verschiedene Kollaborationstools miteinander verbunden, bilden Workflows ab. Für jedes Projekt öffne ich einen separaten Browser, ich switche also nicht flach durch 37 geöffnete Tabs, sondern meine neue Organisationsstruktur lautet: Projekt, Browser, Web-Apps, Tags, Inhalte.
Wie macht sich die digitale Transformation in deinem Arbeitsalltag bemerkbar?
Ganz konkret ist das ein blaugrüner Rucksack, mit dem ich umherziehe. Ich arbeite mandats- und projektbezogen an verschiedenen Orten. Digitalisierung ermöglicht mir also «Ortsungebundenheit». Eigentlich reicht mein Handy für 60% der Tasks, da auch mobile alle oben genannten Konten abgebildet sind.
Und in deiner Freizeit?
Meinen neusten Tennispartner, Onur aus der Türkei und seit zwei Monaten in Zürich, habe ich via Tennis Player Zurich Gruppe auf Facebook gefunden. Früher war es unmöglich, solche Verbindungen zu finden. Verbindungen schaffen ist das wesentliche Element der Digitalisierung, das nutze ich auch in meiner Freizeit. Die Definition der Freizeit verändert sich zudem für mich. Ich arbeite an Projekten, für die ich nicht bezahlt werde. Ist das nun Arbeit oder Freizeit? Die Definition von Freizeit als Zeit, in der ich frei über mein Tun entscheiden kann, würde hingegen bedeuten, dass ich eigentlich gar nicht mehr arbeite. Das Konzept «Arbeit vs. Freizeit» scheint mir etwas der Zeit hinterherzuhinken. Aber schliessen wir hier den Deckel wieder, sonst müssen wir eine Stunde über Jobhopping, Freelancer-Kultur, digitale Nomaden und Wünsche der Generation Z, Y und X sprechen.
Wie stehst du persönlich zur digitalen Transformation?
Hoffnungsvoll. Die neue Arbeitswelt bietet die Chance, uns als Menschen wieder zu entdecken. Die vorherrschende Metapher für Unternehmen ist bis anhin die einer «Maschine»: schneller, produktiver, keine Fehler. Es erstaunt nicht, dass Menschen in solchen Organisationen durch Maschinen ersetzt werden. Maschinen sind einfach schneller und machen praktisch keine Fehler.
Die Belohnung, die die Transformation in Aussicht stellt, ist, dass wir uns vielleicht dem widmen dürfen, was uns am meisten entspricht: dem menschlichen Kontakt. Helfen, fühlen, berühren, verstehen, zuhören, aber auch Feedback erhalten und geben, sich belohnen lassen und anerkennen. Eine epochale Chance, die in ganzheitlichen Konzepten der Transformation mitgedacht ist. Ich möchte gerne dazu beitragen, einer solchen Welt näherzukommen.
Das bedeutet aber ganz stark, dass digitale Transformation eine persönliche Erfahrung ist. Ich muss mich selbst erforschen und mir überlegen, wo die Reise hingehen soll. Es gibt keine Patentlösung und eins ist sicher: Die Zukunft ist ungewiss. Das ist für mich die individuelle Chance, die sich Managern durch die digitale Transformation bietet: sich selbst neu zu erfinden. Nicht warten, bis ein neuer Management-Guru eine Wahrheit herausgefunden hat. Jeder kann und darf mitforschen.
Wie hältst du dich in punkto Management und digitale Strategien auf dem Laufenden?
Ich bilde mich laufend weiter, drei, vier Meetup-Veranstaltungen pro Monat, ein, zwei Bücher, Video-Training und Seminare. Im August und September heisst das konkret: Drei Tagesseminare zu Jira, Scrum, Social Selling, je ein Work-Smart-, Video-Shopping- und Digital-Leadership-Meetup sowie die beiden Bücher Reinventing Organizations von Laloux und Radikal Digital von Sprenger. Als nächste Bücher liegen Theory U und Find your Why auf dem Tisch.
Hast du Tipps für Leute, die sich für digitale Strategien im Management interessieren? Wo(mit) startet man am besten?
Wenn Kaderleute digitale Strategien für ihr Unternehmen entwerfen, denken sie oft an IT, Prozesse, digitale Produkte. Sollten wir damit beginnen? Ich denke, es wäre sinnvoller, sich mit der Psyche des Wandels zu beschäftigen. George Westermann vom MIT Sloan Magazine hat’s auf den Punkt gebracht:
«When it comes to digital transformation, digital is not the answer. Transformation is.»
Ich empfehle, den Zyklus der Heldenreise zu studieren und damit die eigene Geschichte zu schreiben. Es ist ein Mastermodell, das Wandel archetypisch seziert: Die bekannte Welt, die Bedrohung, die Verweigerung, der Call-to-Adventure, das Akzeptieren, das Unbekannte, die Angst, das Versagen, die Mentoren, Helfer, Bösewichte, der Tod und die Wiedergeburt als Neues. Diese Metapher bereitet uns episch und emotional auf die Fundamentalität der Veränderung vor. Was mir an diesem Modell gut gefällt: Es handelt von einer Heldin und einem Helden. Digitale Transformation ist eben eine persönliche Reise im Kontext, wie «ICH» meine Position in einer digitalen Welt gestalten möchte.
Leadership heute bedeutet, in einem Unternehmen Räume für persönliche Reisen zu schaffen. Ein Leader malt ein Bild eines wünschenswerten Ziels und sucht Personen, die sich auf den Weg machen wollen – WOLLEN, freiwillig. Sobald das klar ist, empfehle ich, sich mit konkreten Inhalten und Formen auseinanderzusetzen. Wir unterscheiden sieben Handlungsfelder und überlegen uns, ob wir radikal, an einer Ecke wie Abteilung oder Geschäftseinheit, mit vielen kleinen Experimenten oder mit einer Management-Praktik nach der anderen vorgehen. Wir fragmentieren und verbinden wieder, wie es Sinn ergibt.
Ist so eine Steve Jobs «Connecting the dots»-Geschichte, hat mit Vertrauen, Karma und Bauchgefühl zu tun. Diese Vorgehen erzeugt wahnsinnig viel Angst in einer Management-by-Objectives- Maschinen-Metapher-Organisation. Mit dem Thema «Verlust-Angst» sollten sich Manager im digitalen Wandel und damit bei der Realisierung digitaler Strategien ebenfalls auseinandersetzen.
Welche Skills braucht es in der digitalen Welt aus deiner Sicht?
Es sind ganz viele. Und je nach Jobrolle auch noch andere. Beginnen wir mit der Unterscheidung zwischen harten und weichen Skills. Hart ist für mich: IT-Skills, Content Creation, Coding, agile Praktiken, Management-3.0-Beherrschung, Strategien der Verbindungen entwerfen, Time-Boxing, Knowledge-Sharing, effiziente Collaboration, Kundenverhalten-Analytics, Data Science.
Die weichen lauten aus meiner Sicht: Konflikte austragen können, selbst-organisieren, lernen, inspirieren, dienen, nützlich, respektvoll, fokussiert, committed, offen für Neues, mutig sein. Was ist neu daran? Auf den ersten Blick nicht viel, das wurde schon immer gefordert, nur nicht gelebt und von den Mitarbeitern nicht eingefordert. Die Herausforderung liegt auf der Unternehmensseite, die Strukturen so zu gestalten, das Mitarbeitende solche Fähigkeiten ausbauen wollen und ausleben können. Als Organisation bedeutet dies vor allem eins: Vertrauen schaffen. Für Mitarbeiter, Kunden, Partner. Vertrauen stellt sich über Sinn, Konsistenz, Verlässlichkeit ein. Wir als Manager müssen also lernen, wie wir Vertrauen schaffen und Selbstorganisation ermöglichen. Zur Selbstorganisation gehört zum Beispiel eine Abschaffung von Command und Control und ein veränderter Umgang mit Zielen. Ziele nicht als Zahl, sondern als Vision formuliert.
Was ist dein Ratschlag für Leute, die noch nicht in der digitalen Welt zu Hause sind?
«Noch nicht» oder «nie» – Hauptsache, es passt zur Person und ist eine Entscheidung. Schade finde ich eine Haltung der Verwehrung. Der Auseinandersetzung mit dem Thema kann sich niemand entziehen. Die Mechanismen, die in den Achtzigern und Neunzigern die Welt zusammengehalten haben, greifen nicht mehr. Die Brüche zeigen sich mehr und mehr an unserer Umwelt, an unserer Unzufriedenheit mit der Arbeit und der fortschreitenden Ungleichheit in der Verteilung. Die Transformation hat bereits in den 60er und 70er begonnen, jetzt erhärten sich die neuen Muster und Paradigmen.
Viele Trends laufen auf zwei Fokuspunkte hin: Respekt und Vertrauen. Respekt als Anerkennung der Verschiedenheit, Vertrauen als Kitt der Zusammenarbeit. Mit Robotern und AI befreien wir uns von Maschinen-Arbeit, was uns Ressourcen für Respekt verschafft. Mit Blockchain und Social Media haben wir zwei Technologien für Distributed Trust und die Errichtung neuer Prozesse für globale Entscheidungen. Vielleicht ist die digitale Welt viel menschlicher als wir uns jetzt gerade vorstellen. Für mich auf jeden Fall eine schöne Vision.
Nutzt du digitale Helfer bei der Arbeit? Welche Plattformen und Tools kannst du empfehlen?
Ja, ich nutze die meisten G Suite Tools, Salesforce, HubSpot, MailChimp. G Suite für die Zusammenarbeit kann ich empfehlen, wobei ich oft Bedenken bezüglich Datenschutz wahrnehme. Ich bin gerade dabei, mir die Arbeitsmethodik mit Slack, Trello und darin integrierten Bots aufzusetzen. Da sehe ich bei mir Potenzial für eine Vereinfachung und Automatisierung. Wo ich mich selber auch weiterentwickeln möchte, ist Verständnis und Nutzung von Coding-Werkzeugen. Ich weiss z.B. nicht, wie GitHub funktioniert. Und ich möchte meine Fähigkeiten mit Online-Content-Creation-Tools wie Canva und Video-Editoren verbessern.
Wie bewältigst du die Informationsflut im digitalen Arbeitsalltag? Wie siebst du aus, wie gewichtest du?
Gefühl, Subjectline, ich hangle mich auch gerne von Inhalt zu Inhalt, folge also den Spuren und Verweisen. Das ist ja eigentlich das Wesen unseres Lernens: Anknüpfen, Anzahl der Verbindungen erhöhen. Wichtig in einer Zeit der Filterblase ist für mich, aktiv die Gegenmeinung zu suchen. Sonst wird alles zur YouTube-Selbstbestätigung und fällt ins Extreme. Sehe ich auf Facebook einen Kommentar, von dessen Inhalt ich sehr stark abweiche, gehe ich dem nach. Bei welchen Gruppen ist die Person aktiv, welchen Personen folgt sie? Das eröffnet sehr schnell differierende Weltkonstruktionen mit zugehörigem theoretischem Unterbau. Das ist nicht wissenschaftlich fundiert, aber für mich sehr adäquat in einer pluralistischen, digitalen Gesellschaft.
Über welche 3 Kanäle kommunizierst du am häufigsten im Arbeitsalltag?
Instant-Messengers, E-Mail, Salesforce-Chatter
Und in deiner Freizeit?
Praktisch nur noch Instant-Messenger, vor allem WhatsApp.
Die Quintessenz aus diesem Interview aus deiner persönlichen Sicht?
Eine funktionierende digitale Strategie für Unternehmen beginnt bei der persönlichen Helden-Reise jedes Mitarbeitenden.