Wie agil ist Ihr Marketing & was ist das überhaupt?

Scrum und Kanban verändern die Strukturen und fördern eine Unternehmenskultur, die offen und flexibel ist. Eigenschaften, die auch Grundvoraussetzung für agiles Marketing sind.

Autor/in Roger Basler
Datum 07.02.2019
Lesezeit 9 Minuten

Heute muss ja alles agil, dynamisch und hypertargeted sein, damit es überhaupt wahrgenommen wird. So auch digitales Marketing, das seit rund zwei Jahren nicht nur absatzfördernd, sondern auch dynamisch und neu eben auch: agil sein soll. Was steckt hinter dem Buzzword?

Haben wir heute wirklich die Möglichkeiten und Fähigkeiten, agiles Marketing nicht nur zu skizzieren, sondern auch zu leben? Ein Proverb sagt: Agil ist, wer sich ändern kann – und will. Denn Agilität bedeutet nicht nur, dass man sich schnell und flexibel auf neue äussere Einflüsse einstellen kann, sondern dass dies tief verankert in Organisation und Mindset ist. Agiles Projektmanagement steht schon länger für effiziente Prozesse und innovative Organisationen, zum Beispiel Scrum und Kanban sind unterdessen beliebte Methoden für das Projektmanagement. Aber nicht nur, denn sie verändern die Strukturen und eine Unternehmenskultur, die offen und flexibel ist. Das sind Eigenschaften, die auch Grundvoraussetzung für agiles Marketing sind.

Was zeichnet agiles Marketing aus?

Agiles Marketing ist kein Gartenschlauch mit viel Budget, der einmal den einen oder anderen Garten bewässert. Vielmehr ist Agiles Marketing als Reservoir an Möglichkeiten zu verstehen, welche je nach Zwischenergebnis eine neue Zusammenstellung erlauben. Auch ist es durch schnell aufeinander folgende Marketingmassnahmen charakterisiert. Das bedeutet, je nach dem wo man entsprechend Wasser braucht, kann man schnell und gezielt Wasser hinbringen – ob mit Rasensprenger oder tragbarer Gieskanne überlasse ich jetzt einmal Ihrer Phantasie und Möglichkeiten. Das bedeutet, dass man sich im Rahmen einer «ongoing» Kampagne die Gedanken im Vorfeld macht: “Wie reagiere ich?”. Wenn und je nach Zielerreichungsgrad wird während des laufenden Marketingprozesses die Taktik angepasst, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren. Wie könnte das aussehen? Zum Beispiel könnte man mit Social Ads starten auf Instagram, Facebook und Twitter und in einem Zwischenziel feststellen, dass die CTR (Click Through Rate) bei Twitter am höchsten ebenso wie die Conversion ist – zwar ist der Traffic nicht so hoch, aber einiges besser als auf Facebook. Darum entscheidet man sich, den Funnel auf Twitter noch zu verstärken und mit Video anzureichern.

Anpassung und Zusammenarbeit, basierend auf Werten

Der Erfolg von agilem Marketing basiert hauptsächlich auf zwei Kernpunkten: Anpassung und Zusammenarbeit in den Teams. Das Konzept ist an und für sich nichts Neues, denn bereits 2012 hat sich eine Gruppe von Marketeers in San Francisco zusammen getan und ein Manifesto über Agiles Marketing geschrieben. Dieses Manifest handelt von Werten (Values):

  1. Validiertes Lernen statt Meinungen und Konventionen
  2. Kundenorientierte Zusammenarbeit statt Silos und Hierarchien
  3. Adaptive und iterative Kampagnen statt Big-Bang-Kampagnen
  4. Der Prozess der Kundenermittlung anstelle einer statischen Vorhersage
  5. Flexible vs. starre Planung
  6. Nach einem Plan auf die Umstellung reagieren
  7. Viele kleine Experimente anstelle ein paar grossen Wetten

Spannend sind die zugrunde liegenden Prinzipien, welche nicht nur auf das Marketing angewendet werden können, sondern auch auf andere Bereiche applizierbar sind:

  • Unsere oberste Priorität ist die Zufriedenheit des Kunden durch frühzeitige und kontinuierliche Bereitstellung von Marketing, welches Probleme löst
  • Wir begrüssen und planen Veränderungen. Wir glauben, dass unsere Fähigkeit, schnell auf Veränderungen zu reagieren, einen Wettbewerbsvorteil darstellt
  • Wir führen regelmässig Marketingprogramme aus, von ein paar Wochen bis zu einigen Monaten, wobei der kürzere Zeitrahmen Vorrang hat
  • Ein gutes Marketing erfordert eine enge Abstimmung mit den Geschäftsleuten, dem Vertrieb und der Entwicklung
  • Das Lernen durch die Feedback-Schleife für Build-Measure-Learn ist das wichtigste Mass für den Fortschritt
  • Nachhaltiges Marketing erfordert ein konstantes Tempo und eine konstante Pipeline
  • Wir haben keine Angst zu scheitern. Aber wir scheitern nicht zweimal auf dieselbe Weise
  • Kontinuierliche Aufmerksamkeit auf Marketing-Grundlagen und ein gutes Design erhöht die Agilität
  • Wir erstellen Marketingprogramme für motivierte Personen und geben ihnen die Umgebung und Unterstützung, die sie brauchen, und vertrauen Sie ihnen, um ihre Arbeit zu erledigen
  • Einfachheit ist Alles

Gerade die beiden letzten Punkte sind sehr spannend, denn sie decken sich mit den Kompetenzen, welche eine Digitale Arbeitswelt verlangt. Das bedeutet aber, dass wir Mitarbeitende erneut und immer wieder befähigen müssen und sollen, selbständig Entscheidungen treffen zu können. Denn das ist es, was sie und die Organisation dazu befähigt, kurzfristige Entscheidungswege inklusive Budgetkompetenz zu gehen, um schnellstmöglichst agieren zu können.

Es braucht ständige Lernbereitschaft, sowie Epics und User Stories

Das bedingt die Entwicklung einer Trial & Error Kultur mit der Möglichkeit, statt mit Beratern, mit Mentoren zu arbeiten, welche Educational Consulting verstehen, anstatt einfach nur Tools zu implementieren. Diese Mentoren arbeiten mit so genannten Epics und User Stories. Epics sind die grossen Marketingstrategien und Ziele – das Why und Who (wem helfen wir warum und wie). Alles soll auf dieses Ziel, für den Kunden (Customer Centric) einzahlen und man lernt, während man sprintet, ohne das Grosse Ganze aus den Augen zu verlieren.

Noch tun sich Schweizer Unternehmen allerdings schwer. Anders als in den USA und China, in der eine „Fail fast, but fail forward“ Kultur herrscht, findet man diese Einstellung hierzulande oft nur bei Startups. Eine gesunde Fehlerkultur im eigenen Unternehmen erfordert Mut und ein Mass an Geduld. Hier kann aber jede Organisation eine passende Schnittmenge zwischen Planung und Experimentierfreude finden, wenn sie es schafft, die eigenen Mitarbeitenden laufend weiterzubilden und zu befähigen. Zudem sollten die Resultate, die erhoben werden, nicht nur interpretiert, sondern auch laufend verbessert und übertroffen werden.

Oder wie Davin Quinn einst treffend sagte: “Wir betrachten Agile Marketing als eine klare, einfache und prozessgesteuerte Art und Weise des Marketings, die eine transparente Kommunikation, die Zusammenarbeit und den Austausch von Erkenntnissen und Erfahrungen anregt. In der Praxis setzt man agiles Marketing mit Hilfe eines befugten und multidisziplinären Teams, das ein starkes Gefühl der individuellen Verantwortlichkeit pflegt, mit regelmässigen kurzen Besprechungen, kurzen Lieferzyklen, kontinuierlicher Messung und einer ‘Schnell scheitern und daraus lernen‘-Philosophie um. Das eigentliche Ziel von Agile Marketing ist die schnelle Anpassung und proaktive Innovation in einem Markt, der sich schnell und unvorhersehbar verändert. Agile Marketing ist nie ‘fertig‘, es ist immer in Bewegung.“

Ein paar Punkte, um mit agilem Marketing anzufangen

Wie bereits angetönt, ist neben der Weiterbildung vor allem die Bereitschaft notwendig, dass Mitarbeitende ihr Know-how untereinander teilen wollen und Marketing als eine interdisziplinäre Disziplin sehen.

Das Management mit an Boot holen

Wir haben es bereits erläutert: Agiles Marketing braucht kurze Freigabeprozesse und schnelle Entscheidungswege, sowie eine gewisse Fehlertoleranz. Es braucht dazu das Verständnis und die Freigabe vom Management, entsprechende Strukturen zu schaffen und Mittel und Möglichkeiten freizugeben.

Working Out Loud

Dabei kann die Methode «Working Out Loud» sehr gut helfen. Unter Working Out Loud versteht man das regelmässige Zusammenkommen von Teams oder Teammitgliedern aus unterschiedlichen Bereichen, welche im Sinne der Absatzförderung und der Kundenzentrierung gemeinsam an Projekten arbeiten, Content erstellen oder die User Journey verbessern. Die vielen Ideen und Einsichten, die kurzfristigen Anpassungen und Verbesserungen ermöglichen eine entsprechende Dynamik, welche man sonst aus Scrum Projekten kennt. Man kann natürlich auch gleich die Scrum Methode von Sprints und Briefings einbauen, dazu müssen aber alle Teilnehmenden genug Daten oder deren Zugriffe haben und es darf kein Gärtchendenken bestehen.

Mit einem übersichtlichen Case anfangen

Aller Anfang ist klein und braucht viele Schritte. Versuchen Sie sich an einem Teilprojekt und schauen Sie vor allem, dass die Zusammenarbeit funktioniert. Werten Sie aus und werden Sie laufend besser.

Der ultimative Test kommt, wenn Sie es als Organisation schaffen, auf aktuelle Ereignisse agil, also schnell und mit einer gewissen Gelassenheit, zu reagieren. Sei es das Wetter, Sportresultate oder Veränderungen von Unvorhergesehenem, wie zum Beispiel beim Thema Bündnerfleisch, damals mit Alt Bundesrat Merz oder wenn auch immer Donald Trump wieder einen seiner berüchtigten Tweets absetzt. Sind Sie bereit für Experimente, welche langfristig spannende Resultate bringen können und Sie definitiv vom Mitbewerber absetzen?


Autor/in

Roger Basler

Roger Basler ist Betriebsökonom FH und «Unternehmens-Architekt». In dieser Funktion leitet, begleitet und investiert er in Startups, die in den Bereichen High-Tech, E-Commerce und Social Entrepreneurship unterwegs sind. Seine Fachspezialisierungen sind E-Commerce, Social-Commerce, digitales Marketing, ROI on Social Media, klassisches Marketing und Startups.