ITIL® 4 für IT-Professionals: «Viele Services treffen die Bedürfnisse der Kunden nicht»
ITIL® 4 ist mehr als ein Framework fürs Management. Erfahren Sie im Interview mit Slavisa Petrovic von Microsoft und Dennis Brügger von Swisscom, warum viele Themen auch IT-Professionals helfen, agil zu arbeiten. Zum Beispiel Customer Journey, Value Stream Mapping oder DevOps.
Wo stehen Organisationen auf dem Weg zur Agilität? Warum nimmt die IT trotz einer Fülle an mächtigen Tools keinen Speed auf? Und wie kann ITIL® 4 nicht nur IT Manager, sondern auch die technischen Fachspezialisten bei den Herausforderungen der digitalen Transformation unterstützen?
Diese Fragen diskutiert unser ITIL® Lead Trainer Markus Schweizer mit Slavisa Petrovic von Microsoft und Dennis Brügger von Swisscom. Als IT-Manager mit einem technischen Hintergrund und zertifizierte ITIL® v3 Experts kennen sie sich beide bestens auf beiden Seiten aus.
Dennis und Slavisa, ihr beide habt einen technischen Hintergrund, seid aber auch ITIL® v3 Experts. Für welche Zielgruppen innerhalb der Technologie-Spezialisten ist ITIL® interessant?
Dennis Brügger: Ich sehe 3 klassische Personas. Da sind zuerst die Einsteiger, die als Digital Natives erste einige Jahre nach Uni oder FH-Abschluss im Berufsleben sind, bei einem Startup arbeiten und sich vor allem mit Cloud-Themen herumschlagen. Für sie sind ITIL®-Themen wohl aber noch nicht so dringend.
Slavisa Petrovic: Die zweite Persona ist der erfahrene IT Professional, der mitten im Berufsleben steht. Er hat bereits viel Erfahrung in der Technik gesammelt und sucht nun ein etwas breiteres Verständnis, um auch kompetent mit dem Management und dem Business sprechen zu können.
Dennis Brügger: Die dritte Persona ist der erfahrene Baby-Bommer-Spezialist, der schon vieles in der IT erlebt hat und nicht mehr unbedingt offen für einen grossen Wandel in Richtung Agilität ist. ITIL® 4 könnte ihm Hilfestellungen in der Diskussion zwischen Anwendungsentwicklung und IT-Betrieb bieten.
Slavisa Petrovic
Heute ist Slavisa Customer Success Account Manager bei Microsoft. Bevor er als zertifizierter Experte in ITIL®, PRINCE2® und COBIT erfolgreich als Service Manager in der Finanzindustrie wirkte, arbeitete er viele Jahre als System Engineer und bringt daher auch ein starkes technisches Know-how mit.
Wie beurteilt ihr den Stand der Agilität im Infrastruktur-Management? Angesichts der nicht enden wollenden Iterationen: Haben die Mitarbeitenden in diesen Teams immer die Übersicht, wer die Kunden ihrer Produkt-Inkremente sind und welcher Wert daraus entsteht?
Dennis Brügger: Die Agilität im Betrieb wirkt oft aufgesetzt – sie ist von oben angeordnet. Die Mitarbeiter versuchen sich an die neuen Methoden anzupassen, aber sie verstehen oft nicht, warum sie etwas tun. Der Kunde, für den man Wert in Form von Services generiert, wird nicht immer erkannt. Dies kann in der Folge zur Entfremdung vom Job und zum klassischen Dienst nach Vorschrift führen – also das Gegenteil von dem, was man mit Agilität erreichen möchte.
Slavisa Petrovic: Das führt dann oft auch dazu, dass die erstellten Services die Bedürfnisse der Kunden nicht treffen. Man erreicht also den Kunden nicht richtig und es können dadurch auch Kunden verloren gehen.
Wie kann ITIL® 4 helfen dieses Dilemma aufzulösen?
Markus Schweizer: Mit dem Modul «Drive Stakeholder Value» stellt ITIL® 4 Methoden und Techniken zur Verfügung, um den Fokus auf den Kunden auszurichten. Die Customer Journey ist dabei die zentrale Struktur, die hilft Schritt für Schritt aus Kundenbedürfnissen Lösungen zu entwickeln.
Liefert ITIL® 4 auch dem Management Antworten auf die Frage, wie man diesen oft schwer fassbaren Wert eines Service messen und auch dem Kunden glaubhaft machen kann?
Markus Schweizer: Das ITIL® 4 Modul «Direct, Plan and Improve» liefert Ideen und Grundsätze zur Verknüpfung von Unternehmenszielen mit den alltäglichen Tätigkeiten in der IT. Dank der klassischen Zielkaskade der Governance können Erwartungen des Business in persönliche Ziele umgesetzt und Prozesse entsprechend ausgerichtet werden.
Slavisa Petrovic: Direct, Plan and Improve richtet sich wohl vor allem an Team- und IT-Leiter. Mit den vorgeschlagenen Methoden und Techniken können Sie den Wert für den Kunden mit der sinnhaften Arbeit der technischen Spezialisten verknüpfen, was in der Realität oft fehlt.
Dennis Brügger
Dennis ist Head of Cyber Security Consulting – Enterprise Consulting bei Swisscom und zertifizierter ITIL® Expert, CISSP sowie Project Management Professional (PMP)®. Bevor Dennis sich verstärkt Management- und Consultingtätigkeiten widmete, arbeite er viele Jahre als Network & Security IT Architect.
Agilität ist nicht nur schöne neue Welt, sondern kommt auch mit Herausforderungen. Was sind eure Beobachtungen in der alltäglichen Arbeit?
Dennis Brügger: Agiles Arbeiten hat Vor- und Nachteile. Einer der Vorteile, die von den Mitarbeitern sehr geschätzt werden, ist die Tatsache, dass man durch das Time-Boxing in Sprints gute Gründe hat, auch mal zu Forderungen des Managements Nein sagen zu können.
Slavisa Petrovic: Agilität kann sich negativ auswirken, wenn sie einfach von oben angeordnet wird, ohne klar den Sinn und Zweck aufzuzeigen. Die dabei geforderten T-förmigen Skills-Profile können auch eine Herausforderung für technische Spezialisten sein, denn dazu gehört auch, dass man die Tech-Bubble oft verlassen und sich nun fast täglich mit Kunden austauschen muss.
Markus Schweizer: Ich sehe zwei Knackpunkte in der täglichen agilen Arbeit: Erstens, wie optimiere ich meine Abläufe möglichst effizient, um mich in den Sprints auf wertvermehrende Aufgaben zu konzentrieren und möglichst viel Routinearbeiten loszuwerden? Und zweitens, wie verknüpfe ich meinen Output aus den Sprints mit Aufgaben des Betriebs und der Service-Bereitstellung? Hier kann das Modul «Create, Deliver und Support» von ITIL® 4 helfen. Mit der Service Value Chain liefert es ein Werkzeug zur Optimierung und Automatisierung der Abläufe im Sinne des Kunden. Zudem legt es ein Schwergewicht auf das Wohlergehen der Mitarbeiter in Zeiten des raschen Wandels.
Markus Schweizer
Markus ist Senior Strategy Advisor and GRC Leader bei DXC ServiceNow Switzerland und seit über 10 Jahren ITIL® Lead Trainer bei Digicomp. Als Business Consultant versteht er es, Best Practices in die Praxis zu überführen und messbare Erfolge für IT Organisationen zu erzielen.
Agilität und die Digitalisierung liefern eine ganze Fülle von neuen Methoden wie DevOps oder Design Thinking und neuen Werkzeugen wie Containers, AIOps oder Workflow-Engines, die ein grosses Potential für die Automatisierung der gesamten Wertschöpfungskette haben. Damit kann Geschwindigkeit in der IT gewonnen werden. Wo steht die High Velocity IT in der Praxis?
Dennis Brügger: Organisationen sind oft zu unflexibel, um die Vorteile moderner Tools zur Automatisierung und Beschleunigung zu nutzen. Um das Potential von Tools wie Containers, Observability oder Robotic Process Automation voll nutzen zu können, braucht es einen integrierten, architekturbasierten Ansatz, der heute häufig noch fehlt.
Slavisa Petrovic: Um die Automatisierung in Richtung AI weiterzutreiben, braucht es auch einen integrativen Ansatz für die Verarbeitung von grossen Datenmengen. Das kann wirtschaftlich wohl nur in der Cloud gemacht werden – auch hier fehlt oft die Gesamtsicht.
Kann das ITIL ® 4 Modul «High Velocity IT» die Problematik lösen, damit die IT an Speed gewinnt?
Markus Schweizer: Das «High Velocity IT»-Modul liefert eine umfassende Sammlung von Techniken und Lösungsansätzen für die Beschleunigung in der IT und unterstützt damit Practitioners und Managers zugleich.