«Kundenorientierung heisst, die ganze Kundenreise zu begleiten»

Kundenorientierung bedeutet, alle unternehmerischen Massnahmen auf die Kunden auszurichten. Aber wo sollen wir da anfangen? Am besten damit, die Kunden besser zu verstehen. Wir haben mit Franziska Schneebeli über erste, konkrete Schritte hin zur konsequenten Kundenorientierung gesprochen: Customer Journey, Nahtstellen und Feedback.

Autor/in Nathalie Riffard
Datum 21.10.2019
Lesezeit 13 Minuten

Kundenorientierung ist als Trendthema auf den ersten Blick so verlockend wie eine abgestandene Fanta. Denn es ist natürlich eine Binsenweisheit, dass unzufrieden Kunden auf unsere Produkte und Dienstleistungen lieber verzichten und diese schon gar nicht weiterempfehlen. Der Umsatz leidet, das Unternehmen wird immer unrentabler und steht potentiell an der Klippe.

Wie kann es also sein, dass Kundenorientierung fast in jedem Unternehmensleitbild als Grundsatz steht, aber oft nicht gelebt wird? Sogar dann, wenn sich der Kunde den Hörer schnappt und sich mit einem konkreten Problem direkt an uns wendet?

Die grösste Schweizer Customer Experience Studie, die ausgewählte Schweizer Marken, Banken, Versicherungen und Telekommunikationsfirmen untersucht hat, kommt zum Ergebnis, dass kein einziges Unternehmen ein hervorragendes Kundenerlebnis bietet. Die Mehrzahl der Unternehmen, darunter vor allem Lebens- und Krankenversicherungen , erhielt die Note genügend. Gut bewertete Kundenerlebnisse bieten vor allem Banken und Kreditkartenanbieter sowie Migros und Coop. Als ungenügend fiel die SBB und der SRF durch.

Der Fisch stinkt vom Kopf her…

Oder wie es der Business Guru Richard Branson sagt: «The way you treat your employees is the way they will treat your customers.» Und an diesem Bonmot ist laut einer aufsehenerregenden amerikanischen Untersuchung von Benjamin Schneider und David E. Bowen («Winning the Service Game») sehr wohl etwas dran. Schneider und Brown konnten nicht nur einen deutlichen Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und der Unternehmenskultur feststellen, sondern auch typische Merkmale einer kundenorientierten und nicht kundenorientierten Kultur identifizieren.

Mitarbeiter von kundenorientierten Unternehmen sagen, dass der Kundenservice die wichtigste Priorität hat, viel darüber gesprochen wird und nur Kollegen eingestellt und gefördert werden, die Kundenorientierung betonen. In nicht-kundenorientierten Unternehmen interessiert dagegen zuerst das Ergebnis, nicht der Service. Es wird wenig darüber kommuniziert. Es werden vor allem Mitarbeiter eingestellt, die möglichst wenig kosten.

Kundenorientierung ist ein Kulturmerkmal und kann sich deshalb nur langsam und ganzheitlich entwickeln. Aber nicht allein die Unternehmenskultur kann zu einer schlechten Kundenorientierung beitragen. Problematisch sind auch ein mangelndes Wissen über den Markt, ineffiziente und intransparente oder nicht kundenorientierte Ablaufprozesse und am wesentlichsten ist: wenn wir die Bedürfnisse unsere Kunden nicht kennen, können wir sie auch nicht befriedigen.

Deshalb haben wir uns mit Franziska Schneebeli, der Inhaberin der MTS Solutions AG, getroffen und über den ersten wichtigen Schritt hin zu einem wirklich kundenorientierten Unternehmen gesprochen.

franziska schneebeli - Umgang mit schwierigen Kunden

Franziska Schneebeli berät und coacht Einzelpersonen und Unternehmen in Strategie, Change-Management und Organisationsentwicklung sowie Marketing und Vertrieb mit einem Fokus auf Kundenorientierung. Bei Digicomp leitet sie neu Kurse in Kunden- und Serviceorientierung, kundenorientiertem Telefonieren  und Typologien und Menschenkenntnis.

Franziska, warum wird Kundenorientierung so oft versprochen und so selten eingelöst?

Das ist nur menschlich, wissen tun wir es alle, aber wir verhalten uns nicht immer danach. Zum Beispiel: Die meisten Menschen wissen, dass Rauchen ungesund ist, viele tun es aber trotzdem. Genauso wissen wir, dass wir uns am Schluss eines Kundengesprächs mit dem Namen verabschieden sollten – und lassen es trotzdem sein. Ebenso verhält es sich mit der Unternehmenskultur: Geschrieben sind Werte schnell, diese zu leben ist schwieriger.

Kundenorientierung ist grundsätzlich eine alte Idee. Durch die Digitalisierung erscheint sie aber brisanter denn je. 

Erst kürzlich habe ich dazu einen Vortrag gehört, in dem erklärt wurde, dass das menschliche Gehirn mit der Beschleunigung der Entwicklungen nur schlecht zurechtkommt. Die Digitalisierung macht viele Prozesse schneller, aber unser Hirn ist immer noch genau gleich langsam. Ein positives Beispiel für eine gelungene Adaption dieser Thematik ist ein Unternehmen mit 80 Leuten, das digitalisierte Dienstleistungen anbietet und als obersten Punkt im Leitbild persönliche Beratung aufführt. Da habe ich nachgefragt: «Warum persönliche Beratung? Ihr wollt  doch, dass eure Kunden alles per PDF runterladen und sich selbst helfen.» «Ja das stimmt, aber dann wenn der Kunde anruft, ist es wichtig, dass er von den besten Leuten beraten wird. Das ist unsere Unique Selling Proposition gegenüber den Mitbewerbern.» Das heisst, der persönlich Kontakt ist durch die Digitalisierung noch wichtiger geworden, aber nicht in der Quantität, sondern in der Qualität. Denn wenn jemand online nicht weiterkommt, dann möchte er eine gute Auskunft. Und die muss dann von Anfang an gut sein. Er möchte nicht noch sieben Mal verbunden werden, das muss reibungslos klappen.

Kundenorientierung ist ein umfassendes Thema. Wo sollten Unternehmen zuerst anfangen, um eine Verbesserung zu erreichen?

Wir reden heute häufig von Customer Journeys, das heisst nichts anderes als Kundenreise. Und hier kann man wirklich einen Unterschied machen. Viele Unternehmen bilden in ihren Customer Journeys die Prozesse mit allen Kontaktpunkten, den Touchpoints, mit den Kunden ab. Das ist aber nur die halbe Miete, die ganze Miete ist eine Customer Journey aus Kundensicht zu erstellen.

Wo startet diese Reise? 

Die Reise fängt bereits in unseren Köpfen an und sie hat eine Vor- und eine Nachbearbeitung. Ein einfaches Beispiel: Schon bevor wir einkaufen gehen, entscheiden wir uns oft schon auf dem Weg zum Einkauf, was wir möchten. Das gehört auch zur Customer Journey. Also nicht nur dann, wenn wir vor Ort sind, wenn wir beispielsweise zum ersten Mal mit dem Lieferanten in Kontakt sind oder wenn wir bezahlen. Deshalb spricht man auch von Reisebegleitung. Ziel ist es, die gesamte Reise des Kunden mitzubegleiten. Was heute in Zeiten von Multi-Channels oft auch vergessen geht, sind die Nahtstellen.

Kannst du das genauer erklären?

Das bedeutet beispielsweise, dass der Übergang von online und offline, sauber gemacht wird. Ich kann Bücher online bestellen oder in einem Laden kaufen, ich kann sie in physischer Form und ich kann sie als E-Book haben. Sollte ich jetzt mit dem E-Book ein Problem haben, ist es zentral das es eine gute Hotline gibt. Das wäre jetzt ein Beispiel für eine Nahtstelle. Aber oftmals fallen Kunden hier durchs Netz. Und dann entsteht die Wahrnehmung, dass der Service nicht optimal ist. Denn auch heute in einer digitalisierten Welt gibt es immer noch Menschen, die lieber mit Menschen als Maschinen reden. Hier die richtige Balance zu finden, ist eine echte Herausforderung, aber auch sehr spannend.

Mit welchen Methoden schafft man es, eine Kundenreise nahtlos mit positiven Kundenerlebnissen zu gestalten und dabei vielleicht auch die eigene Betriebsblindheit zu überwinden? 

Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. Mitarbeiter können die Reise aus Kundenperspektive einmal selbst unternehmen. Man kann auch Mystery Shopper engagieren oder die Reise mit den Kunden gemeinsam gestalten und sie wirklich in alle Prozesse einbeziehen. Dabei ist es wichtig, dass man mit einer breiten Zielgruppe arbeitet und vielfältige Feedbacks aus ganz verschiedenen Kundengruppen bekommt. Früher hat man die Zielgruppe vor allem nach soziodemografischen Kriterien kategorisiert, wie Alter, Geschlecht oder Bildung, heute arbeitet man mit Verhaltenskriterien. Eine gute Methode dafür sind Personas. Allerdings kann man diese Verhaltenskriterien natürlich nur dann aufspüren, wenn man tatsächlich mit den Kunden im regen Kontakt steht. Und das nicht nur, wenn der Franken klingelt, sondern auch sonst.

Warum sind die Verhaltenskriterien so zentral?

Ein Beispiel: Kaffeetrinken. Hier ist es weniger wichtig, ob wir Mann oder Frau sind, ob wir berufstätig sind oder nicht, wichtig ist, wie wir uns dabei verhalten. Sind wir eher spontane Kaffeetrinker? Das heisst, wir trinken den Kaffee dann, wenn wir eine Möglichkeit oder Gelegenheit wahrnehmen. Oder sind wir eher Leute, denen Qualität wichtig ist? Das heisst, wir zelebrieren das Kaffeetrinken als Ritual, wir haben eine eigenen Espressomaschine zuhause, mit der wir die Kaffeebohnen selbst mahlen und mit einem Kolben frisch aufbrühen. Erst wenn wir diese Verhaltenskriterien kennen, können wir feststellen, ob eher Qualität, Convenience oder Schnelligkeit gefragt ist.

Im Kundenfeedback spiegelt sich das Resultat unserer Kundenorientierung. Deshalb starten Unternehmen regelmässig grosse Kundenumfragen. Wie sollten Unternehmen mit diesem Feedback umgehen, damit sie nicht nur sinnlos Daten sammeln?

Das eine ist, das negative Feedbacks mit den Kunden besprochen und daraus Massnahmen abgeleitet werden. Das andere ist, sich auch mal Varianten zu überlegen, statt riesige Online-Umfragen zu veranstalten. Zum Beispiel könnte man nur eine kleine handverlesene Auswahl an Kunden befragen, sich hier aber das Feedback face-to-face oder telefonisch abholen. Das heisst, Unternehmen müssen sich überlegen, möchte ich Datenmenge oder möchte ich Datenqualität? Das hängt auch immer von der Branche ab.

Wir haben jetzt die Customer Journey abgebildet, die Nahtstellen geschlossen und Kundenfeedbacks angesprochen, aber wie stärken wir die Unternehmenskultur als Basis der Kundenorientierung?

Unternehmenskultur ist eine innere Denkhaltung, die nach aussen gelebt wird. Hier kann man sehr wohl Inputs geben und die Mitarbeiter aufmerksam machen, aber dadurch wird die Unternehmenskultur nicht automatisch kundenorientierter. Die innere Haltung entsteht bei uns innen. Was wir denken und fühlen, kann man nur bedingt beeinflussen. Aber man kann lernen, was alles für eine gute Kundenorientierung wichtig ist. Verknüpft man diese Punkte mit der Firmenphilosophie, dann beeinflussen alle Massnahmen, über die wir gesprochen haben – die Customer Journey aus Kundensicht erstellen, Nahtstellen schliessen und Kunden-Feedback berücksichtigen – auch unmittelbar die Unternehmenskultur.

Welche positiven Einflussfaktoren können Unternehmen für eine kundenorientierte Haltung schaffen? 

Zum einen sollte nicht nur kommuniziert werden, dass Kundenorientierung aus Unternehmenssicht ein wichtiger Punkt ist, sondern sie sollte auch wirklich von der Geschäftsleitung vorgelebt werden. Zudem wird Kundenorientierung durch eine positive Grundhaltung aber auch speziellen Fähigkeiten unterstützt. Die Mitarbeiter sollten mit wachen Augen durch die Welt gehen und fähig sein auch die Perspektive der Kunden einzunehmen. Sie sollten sich mit dem Unternehmensprodukt identifizieren und mit unterschiedlichen Menschentypen auf verschiedenen Kanälen kommunizieren können.

Können Unternehmen den Weg in eine konsequente Kundenorientierung alleine gehen oder braucht es Hilfe von aussen?

Ich glaube Trainings und Coaching können zwar alle Unternehmen gut gebrauchen, aber es ist häufig noch ein latentes Bedürfnis. Es sind sich noch lange nicht alle bewusst, dass hier eine Investition sinnvoll ist. Und die Wirkung von Weiterbildungen sind natürlich sehr stark, aber nicht sofort wirksam.

Als Beraterin, Coach und Trainerin, was ist deiner Ansicht nach die beste Lernerfahrung?

In einer Weiterbildung bekommt man ganz konkrete Inputs. Zum Beispiel, wo man den Kundenumgang noch schärfen kann. Sie sind wichtig als theoretische Wissensgrundlage. Für die Umsetzung sind Coaching-Modelle oder Workshops oft besser, hier kann man ganz gezielt mit eigenen Cases arbeiten. Wenn man das Coaching dann noch mit Trainings on the Job verbindet, hat man wirklich ein sehr wirksames Learning.

Linktipp

Sehen Sie sich auch das Video mit Franziska Schneebeli zum Umgang mit schwierigen Kunden an

Verbinden Sie Ihre Customer Journey mit Ihrer Learning Journey

Zum Einstieg in eine konsequente Kundenorientierung haben wir für Marketing, Vertrieb und Führungskräfte ein ausgewähltes Kursangebot zusammengestellt.

Zum Einstieg in eine konsequente Kundenorientierung haben wir für Marketing, Vertrieb und Führungskräfte ein ausgewähltes Kursangebot zusammengestellt.


Autor/in

Nathalie Riffard

Nathalie Riffard liebt es, gute Geschichten zu erzählen. Schon während ihres Studiums der Geisteswissenschaften verbrachte sie die meiste Zeit mit Recherchieren und Schreiben. Folgerichtig fand sie ihre erste berufliche Heimat als Redaktionsleiterin, wo sie bei der Betreuung diverser Werbepartner ihre Leidenschaft für Content Marketing entdeckte. Als Certified Digital Marketing Professional und Content & Communications Manager unterstützt sie heute das Marketingteam der Digicomp.