7 Fragen, die agile Leaderinnen und Leader beantworten können

Amazon, Google, Tesla: Bei Agilität orientieren wir uns meist an den Tech-Giganten, dabei können wir in der digitalen Transformation viel von den komplexen Ökosystemem in der Natur lernen. Agile Coach Uta Kapp führt Sie mit 7 Bildern aus der Savanne durch Grundlagen des Agile Leaderships.

Autor/in Digicomp
Datum 01.09.2022
Lesezeit 14 Minuten

Wenn wir von Agilität sprechen, blicken wir häufig zu den Tech-Riesen nach Schweden zu Spotify oder zu den USA auf Amazon und Google. Uta Kapp, unsere Agile & Scrum Trainerin, die bereits seit über 20 Jahren Menschen und Unternehmen bei der agilen Transformation begleitet, blickt mit uns in die afrikanische Savanne von Namibia. Dort wo sie aufgewachsen ist. 

Später, in den 80er Jahren, ging sie – wie Sie sich vorstellen können, als eine von sehr wenigen Frauen –  an die Universität von Kapstadt, um Informatik zu studieren und entwickelte anschliessend als Projektleiterin bei Bosch Informationssysteme für Fahrzeugtechnik.

Diesen bemerkenswerten Forscher- und Pioniergeist gibt Sie heute als Coach und Trainerin weiter. Aber auch auf unserem Blog, wenn sie uns verrät, welche grundsätzlichen Fragen agile Leaderinnen und Leader beantworten können. 

Dabei möchten wir Sie gerne auf ein Experiment einladen. Versuchen Sie die Fragen erst mithilfe der Bilder für sich alleine zu beantworten. Fehler schnell vergeben. Und damit sind wir auch schon mitten im Thema, was Agile Leadership heisst. Siehe Frage 5. Aber beginnen wir zunächst mit dem Versuch einer Definition.

Was ist Agile Leadership?

Agilität hat ihren Ursprung in der Softwareentwicklung. Tech-Unternehmen wie Tesla, Amazon, Spotify und Google haben Agilität bekannt gemacht. Aber was haben sie so anders gemacht und alle gemein? 

  • Sie haben den Nutzen für die Kundinnen und Kunden in den Mittelpunkt ihres Tuns gestellt. Dieses Customer-First-Prinzip hat gleichzeitig zu mehr Wachstum geführt.
  • Ein weiteres wichtiges Element sind Sprints statt Marathon. Sprints sind bekannt aus dem Scrum-Umfeld und das heisst, wenn wir agil sind, gehen wir in kleinen Etappen statt in grossen Blöcken voran. 
  • Zudem arbeiten agile Organisationen in kleinen Teams, indem das Wissen selbstverantwortlich geteilt wird

 

Agilität hat ihren Ursprung in der Softwareentwicklung. Tech-Unternehmen wie Tesla, Amazon, Spotify und Google haben Agilität bekannt gemacht. Aber was haben sie so anders gemacht und alle gemein? 

  • Sie haben den Nutzen für die Kundinnen und Kunden in den Mittelpunkt ihres Tuns gestellt. Dieses Customer-First-Prinzip hat gleichzeitig zu mehr Wachstum geführt.
  • Ein weiteres wichtiges Element sind Sprints statt Marathon. Sprints sind bekannt aus dem Scrum-Umfeld und das heisst, wenn wir agil sind, gehen wir in kleinen Etappen statt in grossen Blöcken voran. 
  • Zudem arbeiten agile Organisationen in kleinen Teams, indem das Wissen selbstverantwortlich geteilt wird

 

Frage 1: Was treibt Unternehmen zur Agilität?

Komplexität treibt Unternehmen an. Aber was ist denn eigentlich Komplexität? Das lässt sich gut mit dem komplexen Ökosystem eines tropischen Regenwald verdeutlichen. Ich selbst bin in Namibia an der afrikanischen Buschsavanne aufgewachsen, deshalb nehme ich die Savanne als Beispiel für ein komplexes Ökosystem, das sich immer wieder an extreme Wetterbedingungen anpasst, die erstaunlichsten Arten hervorbringt und Symbiosen aus Tieren und Pflanzen beherbergt. 

Wenn man Unternehmen fragt, warum sie sich für Agilität entscheiden, sagen sie meistens, sie wollen die Prozesse optimieren, sie wollen, dass die Mitarbeitenden selbstverantwortlicher arbeiten und die Kunden zufriedener sind. Aber es ist die Komplexität, warum man es wirklich braucht. 

Agilität hilft uns, besser mit einer ungewissen Zukunft zurechtzukommen. Sie strukturiert die Komplexität in kleine Schritte. Aber sie ist nur ein Hilfsmittel und kein Selbstläufer, am Ende müssen wir die Probleme immer noch selbst lösen. Deswegen nennen wir es auch ein Framework, einen Rahmen. Und dieser Rahmen ist das eine Siebtel Eisberg über dem Wasser, die anderen sechs Siebtel sehen wir nicht.

Frage 2: Welche neuen Rollen muss das Top Management übernehmen?

Für mich zeigt die Elefanten-Leitkuh, welche neue Rolle das Management übernehmen muss. Agile Leaderinnen und Leader dienen ihrer Herde, sie kümmern sich, sie enablen und schaffen die Probleme aus dem Weg. Deshalb sind agile Leaderinnen und Leader eher Coaches oder Mentorinnen. Sie marschieren nicht allein vorneweg mit dem Regenschirm, sondern führen von der Seite.

Diese Rolle ist etwas, dass ich in meinen Agile Leadership Kursen auch übe. Oft ist es ganz neu und ungewohnt, eine Coaching-Haltung einzunehmen, weil wir das auch nie erlernt haben. Das Wichtigste und Kritischste ist dabei der Vertrauensvorschuss. Denn wenn ich dem Team als Ganzes die Verantwortung gebe, dann muss ich ein Stück zurücktreten, mit dem Risiko, dass dieser Vertrauensvorschuss enttäuscht werden kann und ich am Ende den Kopf hinhalten muss.

Frage 3: Welche neuen Aufgaben übernehmen Team- und Projektleitende in einer agilen Organisation?

Sehen wir uns die Vogel-Communities im Baum an. Sie sind Superorganismen wie Termiten oder Bienenschwärme. Und auch in solchen Communities in der Natur gibt es Rollen, Stadien und unterschiedliche Charaktere. Nehmen wir als Beispiel einen Bienenschwarm. Dort fangen die Larven an in den Narben zu arbeiten, dann gehen sie dazu über, dass sie Blumen bestäuben und die erfahrensten können dann Wasser holen, denn das ist am gefährlichsten.

Menschliche selbstorganiserte Systeme sind aber eher Supra-Organismen, denn sie können neben einem Unternehmen gleichzeitig in vielen verschiedenen Gruppen und Communities beheimatet sein. In einer Familie, einem Sportclub, im Elternbeirat oder in einem Orchester. 

Und deshalb müssen wir Menschen in unseren Unternehmen fragen, wo sie sich wohl fühlen, wo sie hinmöchten und ihnen dabei helfen, diese neue Rolle zu finden. Menschen wissen das und auch ein Team spürt, wo jemand hinpasst. 

Das ist meiner Erfahrung nach die grösste Herausforderung und wichtigste Aufgabe von agilen Leaderinnen und Leadern bei der Transformation: jeden einzelnen im Unternehmen mitzunehmen.

Unternehmen, die das nicht tun, stellen fest, dass sie bald in eine Krise geraten, dass ihre Mitarbeitenden plötzlich frustriert oder unzufrieden sind. Und oft hat das nichts damit zu tun, dass die Mitarbeitenden keine Agilität wollen, sie wollen nur gefragt werden. Es hat mit Respekt zu tun. 

Frage 4: Welche Rolle kommt den Spezialistinnen und Spezialisten in selbstorganisierten Teams zu?

Schauen wir uns auf dem Bild einen Geier und einen Schakal an, die gerade die Reste von einer Antilope verputzen, die wiederum zuvor von einer Löwin gerissen wurde. In der Natur haben verschiedene Tiere auch verschiedene Rollen und zusammen ergibt das etwas Synergetisches. 

Aber die Problematik, die durch das Spezialistentum in agilen Teams oft auftaucht ist, dass wir auf «Superchamps» stossen. Diese verfügen über einen riesigen Wissensschatz, teilen diesen aber nicht. Im Krankheitsfall oder bei einer Kündigung ist das Wissen weg, mit gravierenden Folgen.

Nehmen wir Software. Diese ist mehr als die Summe ihrer Teile. Da hilft auch keine Dokumentation, denn dort finden sich nur Informationen, aber kein Wissen. Ohne die Köpfe der Mitarbeitenden würde kein Stück Software funktionieren. Dann ist das Zombie-Software. Die kann man in die Mülltonne treten, weil sie nicht mehr pflegbar und nicht mehr wartbar ist.

Wissen zu teilen ist deshalb eine wichtige Sozialkompetenz, die oft erst entwickelt werden muss und für die es auch Anreize braucht. Denn ganz oft ist es noch so, je mehr Expertise ich habe, desto grösser die Boni. Anreize zu schaffen und diese Sozialkompetenzen zu entwickeln, ist die Aufgabe von agilen Leaderinnen und Leadern. 

Ich glaube aber auch, dass wir diese untrennbare Verflechtung aus Wissen, Menschen, Technik und Systemen erst anerkennen müssen. Denn bislang behandeln wir unsere Software-Landschaften, aber auch Städte und andere komplexe Systeme wie Maschinen und nicht wie ein Stück Natur.

Frage 5: Welche Fehlerkultur ist für agiles Management erforderlich?

Fehler machen ist immer mit Schuld und Scham verbunden. Ich weiss, die ganzen Startups in Berlin kleben sich neuerdings ein Schild auf die Stirn auf dem steht: «I pivoted.» Also: «Ich bin gescheitert.» Aber dann haben sie sich um 180 Grad gedreht und weiter gemacht. Das lässt sich im Nachhinein leicht sagen, ist aber nicht wahr. Denn Scheitern ist wirklich immer mit Schuld und Scham verbunden.

Interessant ist hier, die Natur hilft sich selbst. Wenn wir auf das obere Bild schauen, sehen wir eine Landschaft nach einem zerstörerischen Feuer. Es ist ganz fantastisch, wie aus einem Baum der abgebrannt ist, plötzlich wieder das Grün spriesst. 

Die Natur kritisiert nicht, sondern repariert die Fehler oder behebt die Probleme. Ich glaube, dass wir auch lernen müssen uns Fehler zu vergeben. Wir sollten mehr überlegen, wie wir das Problem lösen, anstatt uns gegenseitig zu bestrafen. 

Als agile Leaderinnen und Leader müssen wir dabei sehr achtsam sein, aber auch Tricks verwenden, um mit dem Scheitern umzugehen. Solch ein Trick ist, dass wir sagen, wir machen Experimente. Experimente dürfen scheitern. Und deshalb machen wir Experimente, wo das Preisschild, das daran klebt, eher klein ist. Man kann zum Beispiel sagen, jeder Sprint für sich ist ein Experiment.

Frage 6: Wie motiviert und führt man Mitarbeitende, die gleichzeitig an vielen verschiedenen Projekten oder Produkten arbeiten?

Mein nächstes Bild aus der Savanne zeigt einen Termitenhügel, der einer harmonischen Symbiose mit einem riesigen Pilz und einem Baum lebt. Wenn der Baum tot ist, dann wird er verspeist und aufgeräumt, aber solange er lebt, wird er gehegt und gepflegt, weil er Schatten spendet. 

Wenn wir zahlreiche Kundenprojekte haben, müssen wir einen ähnlichen Synergieeffekt erzeugen. Das ist ein typisches Beispiel, dass ich das «Webagenturproblem» nenne. 

Wenn ich mit verschiedenen Spezialistinnen – zum Beispiel Designer, Backend-, Front-Developer, Texter etc.–  gleichzeitig an verschiedenen Projekten arbeite, dann braucht nicht nur eine Einzelperson sehr viel geistige Zeit für Rüstzeug, um hin und her zu switchen, sondern das ganze Team. Hier ist es die Aufgabe der Leaderinnen und Leader dafür zu sorgen, dass sich dieses Team untereinander synchronisiert – und das möglichst selbstorganisiert. 

Dabei gibt es verschiedene gute Lösungen, aber am besten hilft oft, wenn man sich in definierten Zeitintervallen auf ein Projekt oder ein Produkt fokussiert. Das können bestimmte Halbtage für bestimmte Teil-Aufträge oder 1 ganze Woche für das gesamte Projekt sein .

Und wenn wir dann selbstorganisierte Menschen in unseren Teams haben, dann verschieben sie alles auf diese Zeit, wo sie sich besonders synchronisieren und besonders viel Synergie erzeugen können.

Frage 7: Wie erzielt man Skalierungseffekte im agilen Unternehmen?

Wenn wir uns wieder ein Beispiel aus der afrikanischen Savanne ansehen, dann sehen wir, dass die Natur in der Lage ist zu skalieren. Und zwar dadurch, das sie modular wächst, das heisst sie breitet sich in kleinen Schritten und Teilen immer weiter aus.

Ein gutes Beispiel ist wieder ein Bienenschwarm. Wenn ein Bienenschwarm eine gewisse Grösse erreicht hat, wächst er dadurch, dass die Königin mit einer erfahrenen Truppe auszieht und einen neuen Platz sucht. An den Bienen ist sehr interessant, dass sie nicht nur tanzen, wenn sie sich Informationen übermitteln, sondern auch, wenn sie entscheiden, wo der nächste Nistplatz ist. 

Bei grossen agilen Implementierungen eine Entscheidung zu treffen, ist eine grosse Herausforderung, vor allem für grosse und ältere Unternehmen. Einzelne Teams für sich treffen in der Regel ganz gute Entscheidungen. Wenn ich jetzt aber plötzlich ganz viel agile Teams habe, die ganz viele Schnittstellen haben, die plötzlich Entscheidungen treffen müssen, die ganz viele Teams betreffen, dann braucht es einen neuen Mechanismus.

Deshalb erfolgt eine Ausbreitung von Agilität am bestens Stück für Stück. Denn auch hier ist das allerwichtigste für agile Leaderinnen und Leader alle Betroffenen mitzunehmen und alle zu fragen. 

Dabei können wir auf jede Menge gute Erfahrungen zurückgreifen. Zum Beispiel, wenn wir eine grosse Einheit von Software-Teams haben, die sich neu in mehrere interdisziplinäre Teams aufteilen soll. Dann lassen wir diese sich selbstorganisiert neu aufteilen, weil es nicht funktioniert, wenn wir diese Neuorganisation von oben drüberstülpen. Als Leaderinnen und Leader unterstützen wir dabei, wir enablen hier aber nur und verteilen keine Jobs.

Dieser Text stammt aus einem Webinar von Uta Kapp während der Corona-Hochphase. Damals galten Webinare noch als Experiment, das, wie wir heute wissen, wunderbar geglückt ist. Wir haben es für diesen Blogbeitrag protokolliert und gekürzt. Die Original-Aufzeichnung finden Sie auf Uta Kapps Website.

Weiterführender Workshop: Agile Leadership™ Essentials

Agile Transformation braucht kompetente Begleitung. Holen Sie sich im 2-tägigen Workshop die Leadership-Grundlagen, um Ihre Organisation erfolgreich agil aufzustellen. Sie lernen agile, selbstorganisierte Teams zu bilden, zu coachen und zu entwickeln, um mit Ihren Produkten und Services höheren Kundennutzen zu erzielen.

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Digicomp