Holacracy: Unternehmen als lebender Organismus
Selbstorganisation statt Hierarchie: Holocracy ersetzt traditionelle Unternehmensstrukturen und klassische Positionen durch Kreise und Rollen. Dadurch werden Unternehmen agiler und anpassungsfähiger. Doch wie funktioniert das Modell genau?
Unternehmen im digitalen Zeitalter sind einem ständigen Wandel ausgesetzt. Agile Methoden haben sich bewährt, damit sich Unternehmen gleich einem lebenden Organismus evolutionär weiterentwickeln und sich so diesen Herausforderungen stellen können. Agilität erhöht die Chance, sich dem Wandel anpassen und schneller reagieren zu können wesentlich, wie eine aktuelle Studie von PricewaterhouceCoopers (PwC) belegt. Eine Untersuchung von BearingPoint bestätigt diese Annahme ebenfalls: 69 Prozent der Befragten erkennen in ihrem Unternehmen eine verbesserte Reaktionsfähigkeit, 62 Prozent eine verbesserte Zusammenarbeit und 54 Prozent eine verbesserte Wettbewerbsposition.
Damit sich ein Unternehmen weg von starren hierarchischen Strukturen hin zu Selbstorganisation, Autonomie, Mitarbeitendenermächtigung und somit zu einer agilen Organisation entwickeln kann, brauchen Manager/innen und Mitarbeitende Übung, um diese Veränderung mitzutragen. Hier hilft das bewährte Konzept «Holacracy», das auf Selbstorganisation und multidisziplinären Teams aufbaut.
Was bedeutet Holacracy? Woher kommt das Konzept?
Der Begriff Holocracy, zu Deutsch Holakratie, setzt sich aus den altgriechischen Begriffen «holos», das mit ganz oder vollständig übersetzt werden kann, und «kratía», das Herrschaft oder Macht bedeutet, zusammen. Der US-amerikanische Unternehmer Brian Robertson entwickelte das Modell Holocracy in seiner eigenen Firma, in der er seit der Gründung mit alternativen, demokratischen Organisationsstrukturen experimentierte. 2007 stellte Robertson das Konzept öffentlich vor, seither verbreitet es sich.
Wie funktioniert das Holacracy-Modell genau?
In einer Holacracy wird Verantwortlichkeit an Rollen delegiert. Verantwortung und Macht werden also von der Führungsposition, die es im klassischen Sinne nicht mehr gibt, an alle Mitarbeitenden abgegeben. So erhalten Mitarbeitende die Freiheit, ihre Aufgaben selbst zu organisieren und eigene Entscheidungen zu treffen und müssen nicht länger auf Anweisungen einer Führungskraft warten.
Eine Person kann mehrere Rollen innehaben. Wenn zu viel Verantwortung an einer Rolle hängt, kann diese in Kreise unterteilt werden, die wiederum Rollen beinhaltet. In einer Holacracy geht es darum, die Arbeit zu organisieren und nicht die Menschen. Dadurch entsteht Spielraum, in dem sich die Personen um die Rollen selbst organisieren.

In jedem sozialen System kommt es zu Konflikten und Spannungen zwischen den Teilnehmenden. Solche Spannungen werden bei der Holacracy als Aufeinandertreffen von unterschiedlichen Prioritäten und Erwartungen zwischen Rollen gesehen und sollten Anstoss für die Evolution der Organisation sein. Dieser Punkt stellt die grösste Herausforderung dar bei der Etablierung einer Holacracy.
Holakratische Unternehmen brauchen klare Spielregeln, hier geht es nicht um Basisdemokratie oder Kuschelkurs. Die soziale Kontrolle ist ein entscheidender Faktor, damit solch ein System effektiv funktioniert. Spielregeln setzen den Rahmen, sie müssen aber immer wieder erneuert werden, damit sie lebendig bleiben. Alle Frameworks und Methoden dienen nur als Starthilfe, mit der sich Unternehmen mit individuellen Spielregeln ständig weiterentwickeln.
Holocracy einführen: Commitment des ganzen Unternehmens
Die Methodik erfordert eine radikale Unternehmens-Transformation. Im Gegensatz zu anderen agilen Methoden, die auch nur von einzelnen Teams umgesetzt werden können, erfordert Holacracy das Commitment des ganzen Unternehmens.
Nur wenn von Beginn weg eine grosse Mehrheit hinter solch einem Organisationssystem wie der Holacracy steht, gibt es eine Chance auf Erfolg. Zur Einführung kann daher die Holacracy Constitution, die inzwischen in der Version 5.0 vorliegt, genutzt werden, über die alle Beteiligten im Unternehmen abstimmen sollten.
In der Verfassung ist beschrieben, wie Rollen und Kreise zusammenspielen, wer welche Kompetenzen hat und was Kreismitglieder sind. Es wird beschrieben, welche speziellen Arten von Kreisen es gibt, wie Subkreise bestückt werden und wie die Kommunikation zwischen Kreisen abläuft. Innerhalb des Rahmens der Verfassung organisieren sich die Menschen selbst, ähnlich der Organisation einer Stadt oder eines Staates.
Kritik an Holacracy: Vorteile und Nachteile des Modells
Vorteile | Nachteile |
Transparente und für alle zugängliche Regeln | Komplexe Strukturen erfordern hohes Mass an Schulung und Verständnis |
Unternehmen ist durch Rollen effektiv auf Ziele und Aufgaben ausgerichtet | Nicht für alle Unternehmen und Branchen geeignet |
Schnelle Anpassungen an Veränderungen, flexible Reaktion auf Anforderungen und Chancen | Fehlen traditioneller Hierarchien kann zu Unsicherheit führen |
Hohe Beteiligung aller Mitarbeitenden an Entscheidungsprozessen | Entscheidungen können mechanisch und unflexibel erscheinen, da sie anhand festgelegter Regeln getroffen werden |
Fallbeispiele: Diese Schweizer Unternehmen sind holokratisch
Hierzulande haben sich bereits einige Unternehmen zu einer Holacracy gewandelt, hier einige Beispiele:
- Brot für alle/HEKS: Die Hilfsorganisation hat 2017 ein Kreismodell eingeführt, das grösstenteils auf Holocracy basiert. 2022 wurde «Brot für alle» in die Stiftung HEKS integriert.
- Feinheit: Die Züricher Marketing- und Kommunikationsagentur mit knapp 40 Mitarbeitenden wurde 2019 zu einer Holocracy.
- Freitag: Die Upcycling-Firma aus Zürich hat 2016 die Geschäftsleitung abgeschafft und eine Holocracy aufgebaut.
- intersim: Die Web-Agentur aus Burgdorf beruht seit 2018 auf zwei Holacracy-Standardwerken, nämlich «Holacracy» von Robertson und «Reinventing Organizations» von Laloux.
- Unic: Die Digital-Agentur mit Sitz in Zürich und Bern ist seit 2018 holokratisch.
Eine Liste mit weiteren holokratischen Unternehmen (letztes Listenupdate 25.06.2025) in der Schweiz findet sich hier.