Change Management und Agilität: Veränderung flexibel gestalten

Was bedeutet es eigentlich, Change Management agil zu denken und zu gestalten? Wie gelingt Veränderung, wenn Pläne nur bedingt helfen und das Ziel noch gar nicht ganz klar ist? Marcus Reinke, erfahrener Coach für Agile Change Management, New Leadership und Transformation, bringt es im Interview auf den Punkt: Agile Change ist kein Methodenkoffer, sondern ein neues Verständnis von Wandel – iterativ, partizipativ und emotional anschlussfähig.

Christine Signer 06.08.2025

Agilität ist längst mehr als ein Buzzword, besonders wenn es um die Gestaltung von Veränderung geht. Im Gespräch erklärt Agile Change Management-, New Leadership- und Transformations-Coach Marcus Reinke, warum Change nicht delegiert, sondern begleitet werden muss, wie Widerstand in Energie verwandelt werden kann und weshalb eine starke Botschaft oft wirksamer ist als die hundertste PowerPoint. Klartext statt Konzeptsprech – eine Einladung an alle, die Veränderung nicht nur managen, sondern wirklich agil und partizipativ gestalten wollen.

Was genau ist Agile Change und warum ist dieser Ansatz für Organisationen relevant?
Marcus Reinke: Agil Change oder auch agiler Wandel bedeutet nicht: ‹Jetzt machen wir alles schnell und chaotisch.› Es geht um Beweglichkeit mit System sowie um Flexibilität innerhalb eines klaren Rahmens. Ebenso darum, Veränderung nicht als Projekt mit einem klaren Anfang und Ende zu betrachten, sondern als dauerhaften Zustand in einer Welt, die von Unsicherheit, Komplexität und raschem Wandel geprägt ist. Organisationen, die das verstanden haben, agieren nicht nur schneller, sondern auch klüger im Umgang mit Unsicherheit und beim Experimentieren. Und genau das ist heute wichtiger denn je: Die nächste Krise oder das nächste grosse Update steht bereits bevor – auch wenn wir es im Moment noch nicht erkennen.

📌«Agil Change oder auch agiler Wandel bedeutet nicht: ‹Jetzt machen wir alles schnell und chaotisch.› Es geht um Beweglichkeit mit System sowie um Flexibilität innerhalb eines klaren Rahmens.»

Welche Voraussetzungen sollten Unternehmen schaffen, bevor sie mit einem Agile Change starten?
Der erste und wichtige Schritt: intern aufräumen. Wer dabei noch in Silos denkt, wer Führung nur hierarchisch von oben nach unten versteht und wer Veränderung sowie Transformation als ‹PowerPoint-Kampagne der Geschäftsleitung› betrachtet, sollte nicht mit Agilität beginnen, sondern mit Selbstreflexion. Agiler Wandel setzt eine gewisse Reife voraus: den Mut zur Transparenz, psychologische Sicherheit und die Bereitschaft, Verantwortung zu teilen. Das klingt einfach, ist jedoch in der Umsetzung sehr herausfordernd. ‹Mut zur Lücke› habe ich es früher als Offizier immer genannt – also einfach mal machen.

Welche Rolle spielt eine klare Zieldefinition im Agile Change Management?
Eine gewaltige. Ohne Ziel fehlt der Fokus – und ohne Fokus bleibt nur blosser Aktionismus, also genau das Chaos, das wir vermeiden wollen. Allerdings muss ein Ziel nicht unverrückbar sein. Es darf sich entwickeln und wird das auch, genau wie wir selbst. Entscheidend ist, dass es für alle verständlich und anschlussfähig ist. Ich arbeite hier gerne mit dem ‹Golden Circle› von Simon Sinek: WHY – HOW – WHAT. Warum und wofür tun wir das? Wie sieht der erste strategische Ansatz zur Zielerreichung aus? Und was sind die nächsten, ganz konkreten Schritte für mich persönlich? Wer diese Fragen beantworten kann, hat schon einen entscheidenden Teil des Weges geschafft.

📌«Ohne Ziel fehlt der Fokus – und ohne Fokus bleibt nur blosser Aktionismus, also genau das Chaos, das wir vermeiden wollen.»

Wie unterscheiden sich Agile Change und Agile Transformation in Bezug auf Umfang, Zielsetzung und Dauer?
Die beiden Begriffe werden oft gleichgesetzt. Doch agiler Wandel ist meist der Einstieg – ein konkretes Veränderungsthema, ein Team oder vielleicht auch ein Pilotprojekt. Agilere Transformation geht deutlich weiter: Hier geht es um eine agile Kultur, flexible Strukturen, ein modernes Verständnis von Führung, eine Haltung des kontinuierlichen Lernens sowie eine grosse Portion radikaler Offenheit. Das ist ein Marathon mit vielen Hürden, kein Workshop am Wochenende. Oder anders gesagt: Agiler Wandel ist der erste Schritt, die agile Transformation ist der ganze Weg, vergleichbar mit einem Ultra-Marathon, bei dem laufend neue Schuhe nötig werden.

Welche Methoden und Frameworks eignen sich besonders für einen erfolgreichen Agile Change?
Das hängt ganz davon ab, wo die Organisation aktuell steht. Scrum, Kanban, OKR – all das kann sinnvoll sein, bleibt jedoch ohne das passende Mindset und eine geeignete Führungskultur nur eine Sammlung netter Werkzeuge ohne echte Wirkung. Ich arbeite gerne mit einer Kombination aus Lean Change Management, Liberating Structures für viel Beteiligung sowie mit hoher Transparenz und klarer Verantwortung in der Führung. Entscheidend ist, dass die Methode zum Reifegrad der Organisation passt. Ein Highspeed-Framework wie OKR in einem traditionellen Umfeld? Das wirkt wie ein Tesla in einer Tempo-30-Zone: technisch beeindruckend, in der Wirksamkeit jedoch stark ausgebremst.

Warum sind klare Rollen, Verantwortlichkeiten und die Unterstützung der Führung auch im Agile Change entscheidend?
Weil sonst tatsächlich Chaos herrscht. Agilität bedeutet in Veränderungsprozessen nicht, dass alle einfach tun, worauf sie gerade Lust haben. Klare Rollen im Wandel geben Orientierung, besonders in unsicheren Phasen ist das entscheidend. Wer führt, wer entscheidet, wer moderiert, wer übernimmt Verantwortung? Wenn das nicht klar geregelt ist, wird aus Agilität schnell Beliebigkeit im Kapuzenpulli. Und wichtig: Ohne echtes Engagement und Unterstützung aus der Führung bleibt alles nur Theorie. Führung muss mitgehen, vorleben, aushalten und oft auch loslassen. Wer Wandel lediglich delegiert, erhält bestenfalls eine Veränderungsshow, jedoch keine echte und nachhaltige Transformation.

Welche typischen Fehler treten häufig bei Agile Change Projekten auf und wie lassen sie sich vermeiden?
Der Klassiker: ‹Wir machen diese Veränderung jetzt auch mal agil› – aber ohne Zeit, ohne Budget, ohne Unterstützung. Agilität wird zum Etikett, nicht zur Haltung. Es bleibt beim ‹Doing Agile›, statt wirklich ‹Being Agile› zu leben. Was oft unterschätzt wird: Echter Wandel und gelebte Agilität sind herausfordernd. Es braucht Klarheit in den Zielen, professionelle Moderation, Mut zur Entscheidung und eine konstruktive Fehlerkultur. Viel Frustration lässt sich vermeiden, wenn Veränderung nicht als Zusatzaufgabe im Tagesgeschäft abgehandelt wird. Agiler Wandel braucht Raum, Fokus und eine gute Begleitung. Nicht als einmaliges Projekt, sondern als langfristiger Lernprozess. Sonst bleibt es beim hübsch gestalteten Workshop – mit Applaus, aber ohne Wirkung.

📌«Wenn in der Kaffeeküche Angst vor Fehlern herrscht, helfen auch keine täglichen Stand-up-Meetings.»

Welche Widerstände entstehen beim Agile Change häufig und wie können Organisationen konstruktiv damit umgehen?
Viele unterschätzen, wie herausfordernd echter Wandel und Agilität tatsächlich sind. Es braucht Klarheit, gute Moderation, Mut zu Entscheidungen und eine ausgeprägte Fehlerkultur. Vieles lässt sich vermeiden, wenn Wandel nicht als Nebenbei-Aufgabe betrachtet wird. Agiler Wandel benötigt Raum, Fokus und Begleitung – nicht als Projekt, sondern als strategischen Lernprozess. Andernfalls bleibt es bei einem netten Workshop, alle applaudieren, aber nichts verändert sich nachhaltig.

Welche Rolle spielt die Unternehmenskultur im erfolgreichen Agile Change Management?
Eine sehr grosse, wie bei jeder Veränderung. Kultur ist der unsichtbare Rahmen, in dem sich alles bewegt oder eben blockiert bleibt. Genau das meinte Peter Drucker mit seinem bekannten Zitat: ‹Culture eats Strategy for Breakfast›. Wenn in der Kaffeeküche Angst vor Fehlern herrscht, helfen auch keine täglichen Stand-up-Meetings. Kultur zeigt sich nicht im Leitbild, sondern im Alltag: Wie sprechen wir miteinander? Wer darf was sagen? Wie gehen wir mit Misserfolgen um? Agiler Wandel funktioniert nur, wenn Kultur nicht als ‹weiches Thema› belächelt, sondern als entscheidender Erfolgsfaktor betrachtet wird. Ansonsten bleibt alles beim Alten, einfach nur mit bunten Haftnotizen und Kapuzenpullovern.

Woran erkennen Organisationen, dass ihr Agile Change den gewünschten Erfolg bringt?
Erfolg im agilen Wandel zeigt sich daran, wie Veränderung geschieht und nicht daran, was am Ende verändert wurde. Wenn Teams beginnen, iterativ an Lösungen zu arbeiten, aktiv Feedback einzuholen und aus Experimenten zu lernen, dann ist der Wandelprozess tatsächlich agil. Sie erkennen es auch daran, dass nicht mehr alles von oben gesteuert wird, sondern Veränderung dezentral und eigenverantwortlich vorangetrieben wird: mutig, anpassungsfähig und mit Fokus auf echten Mehrwert. Und wenn Retrospektiven mehr bewirken als ein nettes Kaffeetreffen für die Teams, wissen Sie: Der Weg stimmt.

Welche messbaren Kennzahlen oder qualitativen Indikatoren eignen sich, um den Fortschritt eines Agile Change zu bewerten?
Wir müssen die üblichen Output-Zahlen vergessen. Beim Agile Change zählen eher Fragen wie: Lernen wir schnell genug? Haben wir unser Vorgehen angepasst? Reden wir offen über das, was nicht klappt? Gute Indikatoren sind z. B. die Veränderungsgeschwindigkeit, die Qualität der Retrospektiven, die Anzahl mutiger Entscheidungen, oder ganz banal: Wie oft greifen Menschen freiwillig zu neuen Tools oder Methoden? Es geht nicht um KPI-Kosmetik , sondern um Veränderungskompetenz, die ist halt schwerer zu messen und sehr individuell.

📌«Organisationen müssen lernen, Change nicht als Ausnahme, sondern als Realität zu begreifen.»

Wie lässt sich sicherstellen, dass der Agile Change nicht nur kurzfristig wirkt, sondern langfristig Bestand hat?
Kurzfristige Wirkung ist nett und sogar sehr wichtig für das erste Momentum im Change – aber nachhaltige Wirkung ist besser. Damit Agile Change bleibt, braucht es drei Dinge: Eine starke Vision,  echtes Ownership im Alltag und die Bereitschaft, sich immer wieder selbst zu hinterfragen und vor allem anzupassen. Organisationen müssen lernen, Change nicht als Ausnahme, sondern als Realität zu begreifen. Das heisst auch: Change-Arbeit darf nicht in der Projektgruppe oder TaskForce verschwinden, sondern muss Teil des Führungsalltags werden, mit klarer Sprache, regelmässigem Review und vor allem: Konsequenz im Handeln. Deshalb ist Agile Change in jedem meiner Leadership-Seminarreihen ein fester Bestandteil für die Führungskräfte. Auch für Personen mit sehr viel Erfahrung.

Wie können Organisationen, die bereits agile Methoden anwenden, ihren Agile Change vertiefen, wenn sie das Gefühl haben, festzustecken?
Wenn’s klemmt, hilft meist ein Perspektivwechsel. Anstatt noch mehr neue Methoden einzuführen, lohnt sich oft ein ehrlicher Blick auf Haltung, Kultur und Kommunikation. Wird offen gesprochen? Gibt es psychologische Sicherheit? Werden ehrliche Rückmeldungen gegeben und mutige Anpassungen vorgenommen? Vielleicht ist bereits ein starkes ‹agiles Mindset› in der Organisation vorhanden, was den agilen Wandel spürbar erleichtert. Oder arbeiten wir lediglich auf dem Papier agil? Manchmal hilft auch ein radikaler Schritt zurück: Warum und wozu machen wir das eigentlich? Wenn die Antwort lautet ‹weil es alle machen›, ist es höchste Zeit für einen Neustart. Und wichtig: Externe Impulse wirken oft wahre Wunder. Ein guter Change Coach oder eine externe Retrospektive kann wie ein Schmiermittel im festgefahrenen System wirken.

📌«Wenn’s klemmt, hilft meist ein Perspektivwechsel. Anstatt noch mehr neue Methoden einzuführen, lohnt sich oft ein ehrlicher Blick auf Haltung, Kultur und Kommunikation.»

Welche besonderen Chancen bietet Agile Change im Vergleich zu klassischen Change-Prozessen?
Agiler Wandel ist wie ein Puzzle mit einem verwaschenen Deckelbild: Sie wissen ungefähr, was entstehen soll – aber nicht im Detail. Alle Teile liegen bereits offen, verändern sich teilweise, und das Bild entwickelt sich Schritt für Schritt. Anstatt monatelang Präsentationen zu erstellen, wird rasch im Kleinen ausprobiert, gelernt und angepasst. Menschen werden einbezogen, nicht überrollt. Und wichtig: Der Wandel entwickelt sich gemeinsam mit dem System, nicht gegen es. Klassische Veränderungsprozesse wirken oft wie eine Inszenierung mit einem fixen Drehbuch – agiler Wandel hingegen erinnert eher an Improvisationstheater mit einer durchdachten Dramaturgie.

Was kann Unternehmen mit auf den Weg gegeben werden, die ihr Agile Change Management nachhaltig stärken möchten?
Erstens: Aufhören den Wandel als einmaliges Projekt zu betrachten. Zweitens: Es ist wichtig für eine echte Beteiligung zu sorgen, nicht für blosse Betroffenheit. Drittens: Führungskräfte nicht nur in Methoden schulen, sondern vor allem in Haltung. Und viertens: Raum schaffen für Dialog, nicht nur für Anweisungen. Wer Veränderung wirklich verankern möchte, muss sie gemeinsam gestalten – im Alltag, nicht nur im Offsite-Meeting. Mein persönlicher Tipp: Im Wandel sollten Botschaften genutzt werden, die emotional anschlussfähig sind. Ohne Herz gibt es keine Bewegung.

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Autor/in

Christine Signer

Schreiben, recherchieren, das Thema SEO und ein ausgeprägtes Interesse daran, wie AI den Arbeitsalltag bereichern kann, zeichnen Christine Signer aus. Sie unterstützt das Marketingteam von Digicomp in den Bereichen Copywriting und Content Management.