Sinnliche Publisher in virtueller Welt
Herkömmliche Technologien der Druckvorstufe und selbst die disruptive Ära des DTP hatten noch das Sinnliche der Materialität intus. Welche Rolle aber nehmen Publisher heute und morgen in der fortschreitend digitalen Arbeitswelt ein?
In kaum einer Branche verändern sich Berufsbilder so zuverlässig wie im Publishing. Lässt man das Auge über branchenübliche Stellenportale in gedruckter oder digitaler Form schweifen, fällt einem sofort die Vielfalt auf. Nicht so sehr die Vielfalt an Stellen, sondern die unzähligen Bezeichnungen für sich in vielen Bereichen deckende Funktionen.
So liest man etwa häufig: «Neben dem Gestalten von Briefschaften, Broschüren, Corporate Design, gehören auch Websites und Apps zu Ihrem Aufgabenbereich.» Ob man sie nun Polygrafen, Mediengestalter, Grafiker oder Media Designer nennt – der Anspruch auf Arbeitgeberseite ist vermehrt, dass die angestellte Person alle Medien abdecken kann, das heisst digitale wie analoge. Gestaltet wird natürlich ausschliesslich am Computer. Die Idealbesetzung kennt dann gleich auch noch sämtliche Webtechnologien.
Können oder wollen wir diesem Anspruch überhaupt gerecht werden?
Berufsleute mit Erfahrung
Die Gestaltung von Inhalten für unterschiedliche Medien ist seit mehreren Jahren immer technischer und vielfältiger geworden. Nicht allen gelernten Berufsleuten ist dies geheuer. Viele erfahrene Berufsleute bekunden offenbar Mühe, mit dem rascher werdenden technologischen Fortschritt mitzuhalten. Das Tagesgeschäft kann nicht warten, die Zeit für Weiterbildung ist schwer erkämpft.
Vielerorts verfallen gut ausgebildete Berufsleute in eine Art abwartende Starre, was natürlich verheerend sein kann. Ob es vermehrt Spezialisten oder wieder mehr Generalisten braucht, wird überall gern diskutiert. Meine Empfehlung ist, einfach zu beginnen und nicht stehen zu bleiben.
Tendenziell wird man sich in einer Nische oder einem spezifischen Feld besser behaupten können, als von allem eine Ahnung haben zu wollen, aber nichts fundiert zu können. Spezialisiertes Fachwissen und Berufserfahrung, gepaart mit Offenheit für andere Teilfelder, dürfte eine nachhaltige Mischung sein. Warum nicht mal einem Entwickler-Kollegen über die Schulter schauen oder einen Kurs im «Neuland» besuchen? Abgrenzung von «Print & Digital» oder «Design & Technik» erachte ich als absolute Bremse für Innovation und die eigene Weiterentwicklung.
Gut vorstellbar, dass die bewährten Berufe künftig noch gleich heissen; deren Lehrpläne allerdings dürften inhaltlich auf den Kopf gestellt werden. Ein Polygraf in Ausbildung bemerkte neulich treffend: «Das Kommunizieren
von Geschichten mit Text und Bild bleibt ein menschliches Bedürfnis, egal ob gedruckt oder digital.»
Berufsleute ohne Erfahrung
Auch im Alltag als Kursleiter treffe ich immer häufiger Berufstätige an, die zusätzliche, neue Funktionen erhalten. Dies führt unweigerlich dazu, dass branchenfremde Quereinsteiger nun auch gestalterische Aufgaben erledigen. Ursache dafür könnte unter anderem eine verzerrte Wahrnehmung für die Komplexität der Software und Workflows sein. Natürlich spielen immer auch Kostengründe eine Rolle. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Was jedoch in den meisten Fällen ausgeblendet oder vergessen wird, ist die Notwendigkeit von Gestaltunskompetenz oder minimalem Produktions-Know-how. Die allgemeine Verfügbarkeit von Hard- und Software verleitet viel zu oft zur Annahme, Publishing sei quasi «mit links» zu bewerkstelligen. Es empfiehlt sich durchaus, auch die sinnliche Seite der Materialität – das Auge für Design und Kunst – zu schulen. Auch hier gilt es, über den Tellerrand zu schauen und zu lernen.
Blick in die Zukunft
Bestehende Berufsbilder werden sich verändern oder gar verschwinden. Doch naturgemäss entstehen auch wieder neue. Ein Designer ohne Verständnis oder Kenntnis des zu bespielenden Mediums wird es genau so schwer haben wie ein Techniker ohne Liebe zu Detail und Gestaltung.
Klar braucht es etwas Mut, sich in neue Felder wie etwa die künstliche Intelligenz (AI), Audio Interfaces oder Animation zu wagen. Doch dieser Mut dürfte belohnt werden. Ich plädiere dafür, die Technologie als Teil der Kreativität an- und aufzunehmen.
Welche der aktuell kolportierten Szenarien sich auch immer bewahrheiten werden, das Premedia-Umfeld wird dynamisch und veränderlich bleiben. Wer dies als Chance wahrnimmt und sich weiterentwickelt, wird auch in Zukunft eine tragende Rolle in der Kreation und Publikation von Inhalten spielen können. Nicht zuletzt können wir alle mitbestimmen, was unsere Berufe in Zukunft beinhalten.