Business Development: Wie digitale Geschäftsmodelle heute entstehen
Digicomp Experte Roger Basler zeigt uns, worauf es bei der Gestaltung von digitalen Geschäftsmodellen ankommt, und weshalb es nicht reicht, bisherige Prozesse einfach zu «veronlinen».
Derzeit versuchen Firmen im Rahmen der Digitalisierung bestehende Geschäftsmodelle digital anzupassen, also einfach Prozesse und einzelne Bereiche entweder zu «veronlinen» oder schlicht digital auszugestalten, anstatt von neuen Kundennutzen und Kundenverhalten auszugehen, die eine digitalisierte Welt mit sich bringt.
Besonders beliebt ist eine Reduktion der Digitalisierung auf (Mobile) Geräte, welche Kunden verwenden. Das funktioniert aber einfach nicht, denn dabei werden die effektiven Bedürfnisse von Kunden nicht beachet. Wer heute ein zukunftsorientiertes, digital angereichertes Businessmodell für morgen entwickeln möchte, sollte sich konsequent an den Bedürfnissen der bestehenden sowie einer zweiten, an neuen Kunden ausgerichteten Zielgruppe orientieren und erst dann die Prozesse und die Infrastruktur nachfolgen lassen. Das ist nicht immer einfach, denn gerade die Informatikabteilung ist oft treibende Kraft hinter solchen Veränderungen und das Management versteht zu wenig von den Treibern und überlässt die Lösung den Praktikern – immer gelöst, immer funktionierend, aber in den wenigsten Fällen angereichert mit Kundenmehrwerten. Dabei gilt: Digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln, bedeutet immer den Mehrwert an erste Stelle zu setzen und Prozesse und Menschen danach. Versuchen Sie nicht, bestehende Menschen und Prozesse so umzubiegen «dass es passen könnte».
Was ist ein digitales Geschäftsmodell
Ein digitales Geschäftsmodell bedingt zuerst immer einer Transaktion, die über digitale Technologien (oder Plattformen) abgewickelt wird. Das kann über eine Website (online), eine App (mobile), ein Portal (ecommerce shop), eine Plattform (Marktplatz) oder wie in den letzten Wochen immer wieder gehört direkt (und zwar via Blockchain) geschehen. Dabei stellt die Transaktion den Austausch einer Leistung und einer Gegenleistung dar, die zwischen einem nachfragenden und einem anbietenden System nach genauen Regeln, über eine exakt definierte Schnittstelle hinweg abläuft. Die Transaktion darf dabei nicht einmalig oder zufällig ablaufen, sondern muss wiederholt und skaliert werden können, sprich keine Individuallösung sondern vielmehr ein schneller, systematisierter Ablauf sein, der nahe am Kunden(Nutzen) liegt.
Digitale Geschäftsmodelle bieten grundlegend entweder komplett digitale Leistungen, wie etwa Video-on-Demand (z.B. Netflix) oder das immer stärker wachsende Online-Gaming (z.B. Twitch) an. Dabei haben diese Beispiele ganze Branchen grundlegend umgekrempelt. Für Unternehmen ist es wichtig zu verstehen, dass es grundsätzlich 3 essentielle Dinge braucht: Einen Mehrwert, eine Transaktion und eine zugrunde liegende Plattform. Die Plattformen und deren Transaktionen bestehen aus einzelnen, digitalen Prozessschritten, welche miteinander verknüpft sind. Eine solche Verknüpfung kann z.B. über eine API geschehen, welche immer wieder auf diese digitalisierten Prozesse zugreift – oder sie basieret bereits auf einer Blockchain-Technologie, die für jedermann zugänglich (also keine Banken- Versicherungen proprietäre Blockchain) und gleichzeitig über Plattformen skalierbar ist.
Wie entwickelt man ein digitales Geschäftsmodell?
Wie bereits angetönt, müssen die 3 Kernkomponenten analysiert und am Kunden entlang aufgebaut und ausgebaut werden mit dem Ziel, nicht nur Prozesse zu digitalisieren sondern in jedem Schritt einen Mehrwert nahe am Kunden zu entwickeln. Das kann z.B. die komplette Abwicklung von Lagerbestückungen, aber auch Ferienbuchungen inkl. Zutrittslösungen auf dem Handy darstellen – vom Ticket bis zum Schlüssel, den Spa-Aufenthalten oder dem Chauffeur-Service zum Flughafen: Alles ist integriert. Solche Beispiele kann z.B. WeChat aus China bereits komplett darstellen. Ebenfalls ein gutes Beispiel dafür ist der Arztbesuch, gerade zur Grippe-Zeit: Über eine App kann ein Arzt per Video konsultiert werden, eine Terminvereinbarung direkt via Smartphone gebucht, Rezepte ausgetauscht, Taxpunkte abgerechnet und Folgetermine sowie die Krankengeschichte eingesehen werden – ohne das man unterschiedliche Logins, Plattformen oder Anbieter auswählen muss. Der Mehrwert und das Bedürfnis unterliegen der Plattform, die alles im Hintergrund löst.
Was steckt also hinter den drei Komponenten?
1. Mehrwert-Angebot
Der Mehrwert ist das eigentliche Herzstück. Die Value Proposition umschreibt, was der Nutzer und die Nutzerin davon hat, wenn sie die Transaktionen ausführen. Sie ist mit dem Teilnehmer verbunden und zeigt im Rahmen einer Nutzensteigerung genaue Bedürfnisse auf sowie eine Problem-Minderung oder eine Aufgabenlösung. Dabei sind 2 Faktoren massgeblich erfolgsentscheidend: Erstens muss für alle Teilnehmenden schnell und einfach zu verstehen sein, was der effektive Mehrwert ist und zum anderen muss für jeden Teilnehmenden ein positiver Mehrwert entstehen, über den es sich zu sprechen lohnt – das sieht man, wenn die Transaktion wiederholt genutzt wird. Sind diese zwei Grundvoraussetzungen nicht gegeben, ist bereits das ganze Geschäftsmodell in Gefahr.
2. Transaktion
Dies bezieht sich auf die Werte (z.B. Waren), welche durch den Teilnehmer bereitgestellt werden. Eine Aufgabe des Eigentümers ist es, die Balance zwischen Geben und Nehmen zu berücksichtigen und zu gewährleisten. Zum Beispiel könnte zu viel Werbung, die Plattform für den Nutzer unattraktiv machen.
3. Key Plattform Components
Sie stellen die Haupt-Funktionen dar. Sie ergeben sich aus den Anforderungen der Teilnehmenden und ihrer Interaktion mit dem Netzwerk. Solche Schlüssel-Komponenten sind z.B. die Filter, mit denen AirBnB Wohnungssuchende und Wohnungsanbietende zusammenbringt. Es können aber auch Algorithmen oder andere Funktionen sein. Auch nicht-technische Komponenten, wie z.B. ein aktives Community Management gehören dazu. Plattform-Schlüssel-Komponenten sind zusammengefasst all jene Sachen, die es braucht, um eine Plattform erfolgreich werden zu lassen.
Die Dynamik der Märkte und der gesellschaftliche Wandel fordern eine spezielle Schnelligkeit in der Umsetzung. Deshalb unterteilen wir digitale Geschäftsmodell-Projekte in zwei Phasen. Phase eins erzeugt eine Basis-Plattform mit den notwendigsten Funktionen (aus Sicht des Kunden und des Nutzens) und erfolgt im Wasserfall-Modell. Ziel ist es, schnellstmöglich am Markt zu sein, um das Konzept in den Grundzügen zu validieren. In Phase zwei werden einzelne Applikationen hinzugefügt. Jede Applikation erweitert die Plattform. Der Erfolg der Applikation wird anhand der erzeugten verhaltenspsychologischen Reaktionen bewertet. Die Reduktion der Applikationen auf das Wesentliche und die Kürze der Sprints ermöglichen schnelles Lernen und eine hohe Anzahl von Applikationen. Durch dieses Vorgehen entwickelt sich die gesamte Plattform evolutionär auf die Bedürfnisse des Kunden. Erfolgreiche Applikationen werden weiterentwickelt, nicht erfolgreiche abgeschaltet. Mit diesem System kann rasch ein Ansatz erarbeitet werden, mit dem ein Strategieprojekt innerhalb von Wochen an den Start gehen kann und innerhalb von Monaten merklichen Nutzen steigert.
Schritt 1 – Eigene Wertschöpfung und existierende Kunden
Starten Sie mit der eigenen Wertschöpfung. Analysieren Sie diese mithilfe visueller Methoden wie dem Business-Model-Canvas und Design-Thinking. Entwickeln Sie auf Basis verhaltenspsychologischer Methoden geeignete Ansätze, um mithilfe digitaler Technologie Nutzen zu schaffen. Integrieren Sie die besten Kunden in den Entwicklungsprozess, indem Sie auf OpenInnovation setzen.
Schritt 2 – Eigene Branche und bewährtes, digitales Geschäftsmodell
Starten Sie mit Ihren bestehenden Kunden. Bauen Sie einen OpenInnovation-Prozess auf und entwickeln Sie Hypothesen und Ansätze auf verhaltenspsychologischer Basis. Führen Sie die Innovations-Workshops mit Design-Thinking-Methoden durch. Gehen Sie bekannte digitale Geschäftsmodelle durch und entwickeln Sie auf deren Basis digitale Angebote mit Mehrwert für Ihre Kunden. Holen Sie sich Feedback bei Ihren Kunden.
Schritt 3 – Eigene Branche und unbekanntes, digitales Geschäftsmodell
Starten Sie mit Ihren bekannten Kunden. Generieren Sie auf Basis der Verhaltenspsychologie (EmotionalCommerce) und Design-Thinking Ideen und Ansätze, mit denen Sie Mehrwert und Nutzen erzeugen können. Visualisieren Sie diese Ideen mithilfe des Business-Model-Canvas. Spielen Sie unterschiedliche Modelle der Monetarisierung durch. Bedenken Sie, dass Sie alle Hypothesen des neuen Geschäftsmodells mit Prototypen (MVPs) am Markt validieren und ggf. justieren müssen. Dem höheren Risiko stehen natürlich grössere Erträge beim Erfolg gegenüber.
Schritt 4 – Fremde Branche und bewährtes digitales Geschäftsmodell
Starten Sie mit Branchen, die sich im Umfeld Ihrer eigenen Branche bewegen. Holen Sie sich Experten mit Branchenwissen ins Projekt. Entwickeln Sie auf verhaltenspsychologischer Basis und mithilfe des Design-Thinkings Ideen und Ansätze. Benutzen Sie dafür bekannte digitale Geschäftsmodelle. Transferieren Sie die Modelle auf die entsprechende Branche. Obwohl bekannte digitale Geschäftsmodelle genutzt werden, müssen Sie jede einzelne Hypothese am Markt testen. Das Risiko ist verhältnismässig hoch. Dafür locken bei Erfolg natürlich hohe Umsätze und eine Zeit lang Wettbewerbsschutz.
Schritt 5 – Fremde Branche und unbekanntes Geschäftsmodell
Starten Sie in Branchen von Interesse. Holen Sie sich Experten aus diesen Branchen ins Boot. Durchdringen Sie die bestehenden Marktfaktoren und Wertschöpfungsprozesse. Visualisieren Sie diese mit dem Plattform Business-Model-Canvas (via https://www.creatlr.com) und entwickeln Sie Ideen für mögliche neue, digitale Wertschöpfungen.
Benutzen Sie als Werkzeuge Design-Thinking und EmotionalCommerce. Spielen Sie unterschiedliche Möglichkeiten der Umsatzgenerierung durch.
Die Digitalen Treiber verstehen
Ganz wichtig zu verstehen: Digitale Geschäftsmodelle brauchen Treiber, um zu wachsen, zu skalieren und zu funktionieren.
Soziale Netzwerke
Seien Sie offen, ansprechbar, gehen Sie auf Feedback ein. Konsumenten sind heute weltweit vernetzt. Ihr Unternehmen und Ihre Produkte werden immer transparenter: Von Image, über Qualität und Nachhaltigkeit bis hin zum Preis. Positive wie negative Erfahrungen werden weiter verbreitet – weltweit. Nutzen Sie das zu Ihrem Vorteil.
Smartphone
Optimieren Sie Ihre Angebote und Dienste für den mobilen Einsatz. Die «schlauen Telefone» sind «Digitale Assistenten», die ihren Besitzer bei nahezu allem, was er macht, unterstützen. Unternehmen können es sich schlicht nicht leisten, diesem Milliarden-Heer von Assistenten unbekannt oder unzugänglich zu sein.
Smart Data
Lassen Sie Ihre Daten nicht ungenutzt. Es ist heute möglich, riesige Datenmengen im Bruchteil einer Sekunde zu verarbeiten. Das schafft ganz neue Möglichkeiten – und Erwartungen beim Kunden. Veraltete, ungenaue Daten oder verzögerte Antworten werden nicht mehr akzeptiert. Erst recht dann nicht, wenn Ihr Wettbewerber besser ist.
Cloud Zugang
Machen Sie Ihre Daten und Anwendungen immer und überall verfügbar. Das lässt Sie viel flexibler auf neue Anforderungen der Kunden reagieren.
Jede Nicht-Verfügbarkeit ist ein potenziell entgangenes Geschäft für ein Unternehmen – und auch das können Sie sich nicht mehr leisten.
Ein innovatives Geschäftsmodell ist heute das A und O und es empfiehlt sich, dass Sie von Anfang an Kunden und ihre Wünsche aktiv in den Entstehungsprozess von Produkten einbinden, denn gerade das bringt Sie näher zusammen und wird mit langfristiger Treue belohnt. Sie wissen zum Beispiel nie, ob nicht durch eine Idee eine Zweitverwertung von Know-how und Ressourcen möglich ist, welche Zusatzeinnahmen schaffen kann. Je besser und umfassender Sie die Bedürfnisse und Informationen über die eigenen Kunden verstehen, desto mehr lässt sich mit ihnen entwickeln und ausbauen.
Abschliessend bleibt nur noch zu sagen: Seien Sie bereit, Zeit und Manpower zu investieren, bis die ersten Umsätze fliessen. Das kann gut und gerne 2 Jahre dauern. Testen Sie alle Bestandteile der Hypothesen direkt am Markt frühzeitig, auch wenn es nicht fertig ist. «Done is better than perfect» lautet die Devise. Ihre Organisation muss hochgradig lernorientiert sein und Fehlschläge verkraften können, denn die Digitalisierung schreitet unerbittlich voran und wird diejenigen zurücklassen, die nicht mit ihr Schritt halten. Doch wer seine Geschäftsmodelle stets durch diese Methoden verbessert und anpasst und diese durch neue Technologien unterstützt, wird gute Karten in der Welt der Technologisierung haben. Oder wie es Marc Andreessen schon gesagt hat: «You are cruising along, and then technology changes. You have to adapt or will be adapted.»