Die Party ist vorbei. Was bringt uns die Cloud in 40 Jahren – eine Replik

Mein Vater hat vor 40 Jahren einen Artikel geschrieben, wie er sich die Zukunft vorstellt. Ich habe ihm versprochen, darauf zu antworten, wenn es soweit ist.

Autor/in Matthias Gessenay
Datum 20.01.2018
Lesezeit 5 Minuten

Ich schreibe diesen Bericht, weil ich ein Versprechen gegeben habe. Mein Vater hat vor genau 40 Jahren im Internet einen Beitrag veröffentlicht, wie er sich die Welt in 40 Jahren vorstellt. Wie Ihr lesen könnt, war er damals ganz euphorisch und sah enorme Möglichkeiten für die Zukunft. Gegen Ende seines Lebens beschlich ihn eine Ahnung, dass die Welt auch einen ganz anderen Weg nehmen könnte – und er bat mich, die Wahrheit aufzuschreiben, wenn es soweit ist. Hier ist mein Bericht.

Mein Vater hat damals drei Entwicklungen für Wesentlich gehalten:

  • Artificial Intelligence (AI)
  • Internet of Things (IoT)
  • Digital Transformation

Lassen Sie mich kurz den Begriffen einen aktuellen Kontext geben:

AI entspricht heute am ehesten dem Assisted Decision Making (ADM), das praktisch alle datenbasierenden Entscheidungen aufbereitet und basierend auf Graphs und historischen Daten Vorschläge macht. Je nach Quantilgenauigkeit müssen sie noch via Human Interaction (HI) genehmigt werden. Das ist gängig, von Steuerüberprüfungen, Notarzt-Prioritäten bis zu Versicherungsfällen, und hat ganz neue Dienstleistungen generiert: Für praktisch alle Dinge kann ich heute einen statistischen Prescan machen, der mir die Konformität meiner Sache sicherstellt bzw. Tipps gibt, was ich verbessern soll. Neulich hatte ich mich in der Küche verletzt, und der Prescan riet mir nicht nur, meinen Mann und meine Kinder mit in die Notaufnahme zu nehmen (Familien werden höher gerated), sondern auch, mich nicht allzu gut selbst zu verbinden, sonst wäre ich in der Warteschlange nach hinten gerutscht.

IoT, tja, das ist heute wie Strom früher, also ganz normal. Alle Geräte, Häuser, Gärten, Autos reporten zu Data Nodes, die dann die Daten auswerten, entsprechende Entscheidungen fällen können und entsprechende Anweisungen ausgeben. Relativ gängig ist eine Unterteilung in verschiedene Klassen – so kann ich z.B. mein Auto mit einem hochwertigen Hub connecten und werde dadurch bevorzugt geroutet, muss aber natürlich auch ein monatliches Abo bezahlen.

Digital Transformation kann man eigentlich nur im Kontext von früheren sogenannten Büros verstehen: Menschen sind (lange) Wege gereist, um gemeinsam an einem Ort zu arbeiten. Unvorstellbar, aber war damals ganz normal. Heute sind wir eigentlich wieder Bauern, Digitalbauern, wir arbeiten von zuhause aus, es gibt wenig Gründe zu reisen.

Die Ironie ist, dass mein Vater mit seiner Vorhersage ganz recht hatte – und doch nicht mehr hätte daneben liegen können.

Denn das, was damals wichtig schien, ist es heute nicht mehr. Was erstrebenswert schien, ist Alltag und auch Last geworden. Nach der Finanzkrise Anfang des Jahrtausends hat die ganze Digitalisierung einen Wirtschaftsboom ausgelöst. Allerdings war die Produktivitätssteigerung natürlich nie so hoch wie z.B. bei der Erfindung des Mähdreschers. Und auf einmal waren auch Menschen überflüssig in der Arbeitswelt, zumindest übergangsweise, weil die Veränderungen im Gegensatz zu früher viel, viel schneller gingen – in der Geschwindigkeit von Maschinen, nicht von Menschen. Das und die stark gestiegenen Energiekosten, lassen die Wirtschaft seit zehn Jahren kontinuierlich schrumpfen oder stagnieren, je nachdem, auf welches Land man schaut. Auf eine Wirtschaft ohne Wachstum aber war keiner vorbereitet – die Party war und ist vorbei.

Unser Aktionsradius verkleinert sich beinahe jährlich – digitale Transformation heisst, ich kann mir die Reisekosten nicht mehr leisten, und ich werde zuhause gebraucht, um unseren Garten zu pflegen, Gemüse haltbar für den Winter zu machen und natürlich jede Woche auf unserem Dorftauschmarkt zu handeln. Klar gibt es Coop und Migros noch, aber nicht hier im Dorf, und auch dort hat sich durch die teure Energie manches geändert – Kühlung wird vermieden, aufwändige Verpackungen auch, Importgüter ebenfalls. IoT selber verbraucht Energie, daher muss es sich sozusagen selber einsparen, und entsprechend werden alle Geräte abgeregelt, vom Backofen (aktuell dürfen wir nur noch bis 180° heizen) bis zum Auto, und alles fliesst in den monatlichen Energiescore ein. AI selber ist ganz wichtig, um die Wirtschaft und den Energieverbrauch zu lenken und zu optimieren. Das erfordert manchmal ganz schön harte Einschnitte (Hunde dürfen nur bei Bedürftigkeit gehalten werden, weil das Spazierengehen eine nicht wertschöpfende Energieverschwendung ist), aber das ist ok. Die AI selber, die steht natürlich nicht zur Diskussion, die Energie, die sie benötigt, sparen wir mit ihr locker wieder ein.

Und wenn ich 40 Jahre in die Zukunft schaue? Ehrlich gesagt, ich will es nicht.

Mara Gessenay
8. Januar 2058


Autor/in

Matthias Gessenay

Matthias Gessenay ist Microsoft Certified Trainer und einer der Inhaber der Corporate Software. Das Unternehmen ist auf Microsoft SharePoint und Project Server spezialisiert, an der Schnittstelle zwischen IT und Business. Er ist seit mehr als 15 Jahren in der IT unterwegs. Neben technischen Implementierungen arbeitet er als Senior Consultant im Bereich Enterprise Project- und Servicemanagement und Collaboration. Er besitzt neben diversen technischen Microsoft Zertifizierungen wie MCSA, MCSE und weiteren auch die ITIL®-Expert-Zertifizierung und ist als Trainer für ITIL, Six Sigma, Lean IT und Agile Project Management akkreditiert.