Wie gehen BGM und Unternehmenskultur zusammen?
Kann jedes Unternehmen – unabhängig von seiner Kultur – ein betriebliches Gesundheitsmanagement einführen? Alexandra Meures zeigt auf, welche Formen von Unternehmen besonders dafür geeignet sind und welche Unternehmen für ein BGM auch ihre Unternehmenskultur anpassen müssen.
Woran denken Sie beim Wort «Unternehmenskultur»? Vielleicht an das Leitbild, das sich Ihr Unternehmen auf die Fahne schreibt, das Sie dennoch nicht wirklich kennen geschweige denn wiedergeben können? Oder denken Sie an das Betriebsklima, ein Zugehörigkeitsgefühl oder Ihr persönliches Stimmungsbarometer, das Sie täglich aufs Neue spüren lässt, mit welcher Motivation Sie sich auf den Weg zur Arbeit machen?
In den letzten Jahrhunderten, seit der Entstehung von Unternehmen, übt die jeweilige Kultur einen starken Einfluss auf die Gemeinschaft dieser Organisationen aus. Wie verschafft man sich einen Überblick über die Bedürfnisse und Antriebsfelder von jeweils hunderten bzw. tausenden von Menschen in diversen Unternehmen?
Nachfolgende Autoren haben es sich zur Aufgabe gemacht, diese komplexe Situation übersichtlich darzustellen und damit eine Grundlage erstellt, um Einflüsse und Dynamik einer Unternehmenskultur aufzuzeigen.
Anknüpfend an die jeweils kurze Einführung der kulturellen Hintergründe, gebe ich Ihnen in diesem Beitrag einen Einblick in die Gegebenheiten der jeweiligen Unternehmenskultur, wo Handlungsfelder des BGM besondern Nutzen bringen, wichtige Voraussetzungen für die heutige Arbeitswelt erfüllen bzw. auf grossen Zuspruch stossen.
Modelle zur Veranschaulichung von Kulturen und Organisationen
Der Psychologie-Professor Clare W. Graves hat in den 60er-Jahren begonnen, sein Modell «The Emergent Cyclical Double Helix Model of Adult Personality and Cultural Institutions» zu entwickeln. Über viele Jahre hinweg hat er es perfektioniert. Auf diesem Modell bauen die «Integrale Theorie» von Kean Wilber, Jean Gebser u.a. sowie das Modell «Spiral Dynamics» von Don Beck und Chris Cowan auf. Das neuste Werk, das auf diese Modelle fusst und einen aktuellen Bezug dazu herstellt, wie Unternehmen heute agieren, stammt vom ehemaligen McKinsey-Unternehmensberater Frederic Laloux.
Die nachfolgende Grafik des Teal-Organisations-Modells von Laloux zeigt sehr eindrücklich, dass es früher mehrere Jahrtausende und dann Jahrhunderte benötigte, um von einer Stufe der Evolution zur nächsten zu gelangen – wohingegen wir im jetzigen Zeitalter gerade einmal innerhalb weniger Jahre von einer Ebene zur nächsten wandeln. Auch wenn diese Ebenen sich nacheinander ablösen, gibt es auch weiterhin «Mischtypen».
Was für eine Unternehmenskultur muss gegeben sein, damit ein BGM erfolgreich integriert und intrinsisch gelebt werden kann?
Welches Jahrhundert welchen Einfluss auf die Gesellschaft und damit auf die Unternehmenskultur (sowie die menschliche Psyche und Handlungsfähigkeit) hatte und welche Dekaden heute Einfluss auf ein gelebtes BGM nehmen, zeigt Ihnen die nachfolgende Kurzfassung des «Teal-Organisations»-Modells in Verbindung mit den Aspekten des BGM.
Das Macht-Zeitalter
Im Zeitalter von «Rot/Red» wäre ein BGM kaum denkbar gewesen, denn «Rot» wurde bestimmt von «Gib mir, was ich will». Es ging um Matchausübung eines Anführers, der über Befehlsketten Angst verbreitete, um letztlich das Bedürfnis nach Sicherheit zu bedienen. Diese Organisationsform begann vor 10‘000 Jahren.
BGM: Ein heutiger von Macht geleiteter Betrieb würde BGM allenfalls zur reinen Leistungserhaltung und -steigerung seiner Arbeitskräfte sehen.
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Ein Hoch auf Institutionen
Während des «Bernstein/Amber»-Zeitalters wird das Bedürfnis nach Sicherheit durch die Gemeinschaft und nicht mehr durch Individuen bedient. Sehr formelle top-down geführte Pyramiden-Strukturen und Hierarchien halten Einzug in die Gesellschaft. Diese Organisationsform begann vor ca. 5000 Jahren, denken Sie an Militär, Kirche, Behörden. Gesetze wurden und werden weiterhin verfasst und durchgesetzt, der Rang definiert die Macht. Einen Ausläufer dieser Strukturen finden wir auch heute weiterhin dort, wo Recht und Ordnung (Polizei und Ämter) sowie grosser Verwaltungsaufwand und multiple Abteilungen unter einem Dach (z.B. Krankenhäuser) überwiegen.
BGM: Wo Normen der Gruppe und Kontrolle im Vordergrund stehen, wird es bei der Einführung von BGM wohl hauptsächlich um Themen der Organisationsentwicklung auf Ebenen der Arbeitsorganisation, -strukturen und -prozesse gehen. Heute kommt zudem besonders das Thema des demografischen Wandels hinzu. Die Aspekte der Gesundheitsförderung sind – in diesen heutigen Organisationen – allesamt selbstverständlich relevant; wenngleich eine Top-down-Kommunikation hier eher Ablehnung schürt. (Die benötigte, gemeinschaftliche aktive Umsetzung findet durch «grüne Anteile» statt, siehe weiter unten.)
Die Leistungsgesellschaft
Das «Orangene» Zeitalter (Entstehung vor ca. 500 Jahren) dürfte uns (noch) recht bekannt sein: Das Ziel liegt im Profit und darin, besser zu sein als seine Mitbewerber. Massnahmen werden bestimmt durch «Management by Objectives» mit Vorgaben beim «Was» und dennoch Freiheit beim «Wie».
BGM: Wie kann ein BMG in der Leistungsgesellschaft gelebt werden, in der u.a. Vorgaben und Rechenschaftspflicht wichtig sind? Was sich hier (noch viel mehr als in der vorherigen «Stufe») bemerkbar macht, ist die steigende Diskrepanz zwischen Handlungsbereitschaft und Handlungsbefähigung. Wer gezielt zum wirtschaftlichen Erfolg beitragen möchte, hat sich selbstverständlich fachlich, methodisch und auch in seiner Sozial- und Selbstkompetenz bestens aus- und weitergebildet. Wenngleich dies den Sicherheitsrahmen (allgemeines Bedürfnis) bildet, so stossen Führungskräfte genau hier an die Grenzen dieses Systems – und ihrer Vereinbarkeit damit. Sie befinden sich nicht mehr in Kohärenz mit ihren Werten und ihrem Tun. Der daraus resultierende Stress manifestiert sich und führt letztlich zum Burnout.
In einem aktiven Gesundheitsmanagement wird bei der Prävention durch Anti-Stress-Kurse und Burnout-Aufklärung begonnen. Jedoch nur durch ein vollumfängliches BGM, bei dem von der Unternehmenskultur bis zur betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) alle Aspekte berücksichtigt werden, wird man wieder ein Gleichgewicht herstellen können.
Empowerment kommt in Mode
Die «Grünen/Green» Organisationen (Entstehung vor ca. 50 Jahren) sind bottom-up geführte Pyramiden-Organisationen, die Wert auf gemeinsame Entscheidungsfindung und Empowerment legen. Dabei ist es zentral, dass die Werte innerhalb der Organisation gemeinsam definiert werden, um die Zusammengehörigkeit zu stärken und die Harmonie zu fördern. Sicherheit entsteht aufgrund der sozialen Beziehungen und der damit einhergehenden Verlässlichkeit sowie der gemeinsamen Werteorientierung. Diese Art der Organisation kümmert sich also sehr gezielt um eine gesunde Unternehmenskultur. Während die Vorteile dieser Organisation im Wohlbefinden der Belegschaft und der familiären Zugehörigkeit liegen, sind die Nachteile in langen Entscheidungswegen begründet. Eine entsprechende Konfliktfähigkeit kommt also auch hier zum Einsatz. Zudem zeichnen sich diese Organisationen auch dadurch aus, dass sie – mitunter durch ihre hohe Lernbereitschaft – kreative Lösungsfindungen anstreben (Beispiel: NGOs).
BGM: Ein BGM wird hier meist als selbstverständlich angenommen und in Arbeitsgruppen entwickelt und umgesetzt. Es stösst auf viel Zuspruch, denn der Gemeinschaftsgedanke sowie die kreative Gestaltung stehen auch hier im Vordergrund und lassen sich im spielerischen Wettstreit mit Aktivitäten umsetzen, die Freude bereiten.
Auch wird der BGM-Aspekt der Weiterbildung hier gerne aufgenommen, denn er ist ein wichtiger Bestandteil der Persönlichkeitsentwicklung. Damit legen Kommunikationsschulungen und gezielte Coachings die Grundlage für die «nächste Stufe».
Das Non plus Ultra: die Meister-Disziplin
Die sogenannte «Teal»-Organisation ist Laloux’ Meister-Disziplin. Dabei geht es um das Gleichgewicht zum Globalwohl, um interne und externe Belange und auch um eine bewusst gewählte Haltung und darum, Arbeit sinnvoll zu gestalten und zu erleben. Durch die Selbstreflexion (beginnend auf der grünen Ebene) hat sich die Wandlung von Verhalten zu Haltung wie selbstverständlich vollzogen.
BGM: Dies ermöglicht mit Hinblick auf ein BGM auch ein viel schnelleres und einfacheres Zusammenspiel der Hebelmechanismen; von der gesunden Unternehmenskultur über die entsprechend wertschätzende Kommunikation, Kooperation (statt Führung) und einer Organisations- und Arbeitsgestaltung, die auf holistischen Ansätzen basiert und sich als Teil eines grossen Ganzen versteht. Komplexität, die ansonsten niemals durch nur einen Leader oder ein Führungsgremium erfasst und geleitet werden kann, kann in einer Organisation ohne Hierarchien durch die Dynamik und Eigenverantwortung hervorragend bewältigt werden.
Diese Form des Wirkens und Bewirkens bedient die Bedürfnisse nach Sinn und Eigenständigkeit. Hier steht das Streben nach ganzheitlichem Wirken und Verbundenheit trotz grosser Freiräume im Vordergrund und diese bedingen sich gegenseitig. Die Spitze der Maslowschen Bedürfnispyramide – das Erreichen von Selbstbestimmung – sieht Laloux hier erlangt.
Fazit
In einem solchen lebenden Organismus, wie ihn Laloux als Erfüllung ansieht, geht es um den Zweck der Organisation, darum, womit man sich identifiziert und was man für sein Umfeld und die Welt tun kann. Wer sich mit Erleichterung aus «ehemaligen starren Strukturen» befreit und hier aufatmen und sich einbringen kann, der tut täglich etwas Gutes für seine mentale und psychische Gesundheit.
Ein BGM wird im Prinzip hinfällig, wenngleich einzelne Bausteine sicherlich automatisch in diesen bewussten Lebensalltag integriert sind. Denn Begriffe wie «Lebenslanges Lernen», kontinuierliche Verbesserungsprozesse bzw. KaiZen (der Weg zum Besseren) sind selbstverständlich gelebter Alltagsinhalt.
Ein Beispiel für ein fortschrittliches Unternehmen, welches das Teal-Zeitalter nicht nur erreicht hat, sondern bereits seit Jahren erfolgreich damit unterwegs ist sind die Upstalsboom Hotels, mit ihrem Eigentümer Bodo Jansen. Er stellte sich bereits 2009 einige persönliche Fragen. Ganz nach dem Prinzip von Mahatma Gandi, «Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen willst», begann er bei sich und hat seitdem eine beispielhafte Unternehmenskultur geschaffen. Seine Mit-Wirkenden bleiben dreimal so lange im Unternehmen wie branchenüblich. Auch bewerben sich auf eine freie Stelle ein Mehrfaches an Interessenten wie sonst üblich. Nicht zuletzt hat sich diese intrinsisch motivierte Unternehmenskultur natürlich auch auf die Zufriedenheit der Gäste ausgewirkt und damit auf das monetäre Betriebsergebnis.
Auf welcher dynamischen Stufe der Entwicklung sehen Sie sich oder das Unternehmen, für das Sie arbeiten? Stehen Ihre persönlichen Wertevorstellungen mit jener Ihrer Organisation im Einklang? Das Betriebliche Gesundheitsmanagement ist ein wichtiger Bestandteil dessen, ein Gleichgewicht für Mensch und Organisation herzustellen und bedarfsgerechte Inhalte im gelebten Alltag zu integrieren und zu fördern. Gehen Sie diesen Prozess an.