Wieso manche Leute ITIL® hassen und weshalb dies Unsinn ist

Es gibt Blogger & Autoren, die ITIL® nichts Positives abgewinnen können. Markus Schweizer vertritt aber die Meinung, dass negative Erfahrungen mit ITIL® nichts mit dem Framework an sich zu tun haben, sondern mit dessen falscher Anwendung.

Autor/in Markus Schweizer
Datum 28.10.2015
Lesezeit 6 Minuten

Es gibt Blogger & Autoren, die ITIL® nichts Positives abgewinnen können. Ich bin der Meinung, dass negative Erfahrungen mit ITIL® nichts mit dem Framework an sich zu tun haben, sondern mit dessen falscher Anwendung.

ITIL® ist immer mal wieder ein Thema in der Tech-Community. Viele populäre Tech-Blogger beschäftigen sich mit Service Management, IT Governance und IT-Management-Themen. Darunter sind sehr kompetente wie Rob England, ITIL®-erweiternde wie Paul Huppertz und halt auch ein paar «Polteri» wie Greg Ferro, der mit seinem Ende August veröffentlichen Artikel «Why I hate ITIL® so much» für Furore in der Service Management Community gesorgt hat.

Seine These: ITIL®-IT-Organisationen verwandeln sich in kafkaeske Bürokratie-Höllen, in denen niemand mehr glücklich sein kann.

Ich hatte selber schon meinen Moment des Zweifels an der Sinnhaftigkeit von rigiden Prozessregeln: Mitte der 00er-Jahre sind wir zu Dritt für eine Software-Installation nach Montreal zu einer Grossbank geflogen. Der Kunde hatte vergessen, den dafür benötigten Request for Change rechtzeitig einzustellen und die IT-Abteilung stellte sich auf den Standpunkt: «Server-Installationen dauern zwei Wochen und es gibt keine Ausnahmen!» So flogen wir unverrichteter Dinge wieder ab.

Ich hätte damals leicht sagen können, dass eine solches Verhalten nur sture Bürokratie ist, aber ich musste den Entscheid auch bewundern: Die IT-Abteilung der Bank gewichtet den Schutz der Bank gegen das Risiko eines ungeplanten Changes höher als die Verzögerung in unserem Projekt. Im Sinne der Bank war diese Entscheidung richtig.

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Dieses Beispiel illustriert die Herausforderungen, die im Umgang mit ITIL® adressiert werden müssen:

  1. Business View vs. Techie-View: Oftmals fehlt in der IT das Verständnis dafür, was wichtig ist für das Business. Gerade im Banking-Umfeld wird die rigide Einhaltung von Gesetzen und Branchenregeln auch in der IT entscheidend – die IT wird sogar zum Enabler einer stetig wachsenden Rechenschafts- und Sorgfaltspflicht.
  2. ITIL® darf nicht zum Selbstzweck «implementiert» werden – eigentlich gibt es gar keine ITIL®-Implementierungen: ITIL® ist eine Sammlung von Best Practices, die einem erlauben, Business-Probleme in der IT mit bewährten Verfahren zu adressieren.
  3. Die Anwendung von Best Practices ist kein Technologie-Projekt, sondern Veränderung der Aufbau- und Ablauforganisation in der IT. Es muss also als «Management of Change»-Projekt verstanden werden. Die Ausrichtung auf Geschäftserfolge, die konsequente Umsetzung mittels Zielvorgaben (kritische Erfolgsfaktoren, Key Performance Indicators) und die Ausrichtung auf die Mitarbeiter durch Kommunikation von Erfolgen und Schulung der neuen Abläufe sind wichtiger als perfekt automatisierte Prozesse und überambitionierte Richtlinien. Ich habe in meinen Service-Management-Projekten immer Wert darauf gelegt, dass die Umsetzung ausgewogen ist (z.B.: Schulung von Prozessen und Tools zusammen) und dass es Spass macht. Dies kann durch den Einsatz von Wettbewerben, Give-Aways, Social Media oder sozialen Anlässen erreicht werden.
  4. Die Anwendung der Best Practices muss von Anfang an in einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess eingebettet sein, um die Flexibilität zur Anpassung des Service-Management-Systems an neue Bedingungen aufrechtzuerhalten.

Fazit

Der Grund für die geringe Popularität von ITIL® in gewissen Kreisen liegt also nicht am Framework selbst, sondern an dessen falscher Anwendung: ITIL® muss sich an Businesszielen orientieren, die Menschen müssen in den notwendigen Veränderungsprozess einbezogen werden, Erfolge müssen rasch und breit kommuniziert werden und letztlich muss man sich auch genug Flexibilität für stetige Anpassung erhalten.

Es muss auch klar festgehalten werden, dass neue Strömungen in der IT wie die «bimodale IT», Cloud  oder «DevOps» ITIL® nicht obsolet machen, sondern eine Neuinterpretation der Konzepte verlangen. Auf diese Entwicklung hat Axelos bereits reagiert. Das Whitepaper «Service Integration and Management» sowie der neue Kurs «ITIL® Practitioner» positionieren ITIL® in der neuen Welt der Digitalisierung.

Die Digitalisierung immer grösserer Teile der Realwirtschaft stellt eine neue, riesige Herausforderung für traditionelle IT-Organisationen dar. Service Management wird ein Schlüsselfaktor in der Bewältigung dieser Herausforderung sein – mehr dazu im nächsten Blog.


Autor/in

Markus Schweizer

Markus Schweizer ist Digicomp Trainer, ITIL®- und Cobit®-Experte und Strategie-Berater bei Plat4mation für alle Belange des IT-Managements. Zuvor arbeitete er für IBM und PwC und verbrachte er neun Jahre in den USA, wo er Grossfirmen beim Einsatz von Service-Management-Konzepten beriet. Seine Beratungsschwerpunkte sind IT Business Management, interne Digitalisierung, Governance und SIAM.

2 Kommentare

Peter Bergmann 10. März 2016, 18:09Uhr

Sehr geehrter Herr Schweizer, hallo Antje,

bin gerade im Rahmen einer Recherche auf diesen Blog hier gestoßen und möchte ein, zwei Aspekte einbringen.

Wer ITIL® verteufelt hat ITIL® nicht verstanden. Oder viele Jahre sehr gut davon gelebt. In den Büchern stecken unendlich viele gute Empfehlungen, die die Industrie schlicht vernachlässigt hat. Nach dem Motto, was sich leicht verkaufen bzw. vermitteln lässt, wird geschult. Der IAK (gleichzusetzen mit industrielle Anbieterkomplex) hat das Framework verformt.

Der Kollege Andenmatten spricht immer vom verstehen und adaptieren. Ich vermittle meinen Kollegen und Kunden, dass der berühmte gesunde Menschenverstand bei der Nutzung des Werkzeugs mehr als ausreicht, um seine eigene Service Kultur zu schaffen. Ich sehe die fünf Bücher immer so, wie die Bedienungsanleitung eines komplexen Werkzeugs, welches ich erworben habe, um ein Bedürfnis zu stillen: bspw. um eine Reparaturarbeit auszuführen oder etwas Neues zu schaffen. Ich muss schon wissen, was ich mit ITIL® erreichen will und mich nicht von Berater bespaßen lassen, die gleich Götter über die Unternehmen herfallen und Dogmatisches verkünden. Propheten haben wir leider sehr, eher zu, viele. ITIL®-Versteher, die noch nie eine IT von innen gesehen, erlebt haben. Die gerne meinen zu wissen, was ein IT-Leiter alles machen muss, nur um “…ITIL® richtig einzuführen.” Nebenbei: mir ist keine Darreichungsform bekannt, mit der man das kann.

Neben der Über-Interpretation geht die Simplifizierung einher. Nach über 20 Jahren ITIL® muss festgestellt werden, dass Service Providing mit bspw. Datenbankadministratoren, ob mit einer Foundation oder gar mehr, schlicht nicht funktioniert. Die IT-Organisationen sind über organisiert; sie haben jede Menge Reibungsverluste und tun sich mit externen Anbietern schwer. Je mehr der exklusive Status der eigenen IT durch das Business selbst hinterfragt oder gar aufgeweicht wird, wird sichtbar, dass die vielen ITIL® Initiativen wenig Wirkungsvolles zu Stande gebracht haben. Das mag am falschen Einsatzgebiet oder an fehlender Konsequenz organisatorischer Veränderungen; vielleicht auch an beiden.

Es ist wie im richtigen Leben auch: solange ich auf etwas schimpfe, was ich nicht verstehe, beherrsche und anwenden kann, nützt es mir und meinem Umfeld wenig, auf Ersatz, neue Frameworks oder Versionen bestehender Modelle zu warten. Denn auch diese werde ich mit aller Wahrscheinlichkeit nie richtig verstehen.

Liebe Grüße
Peter Bergmann

Antje Kristin Kraus 14. Januar 2016, 14:37Uhr

Hallo Herr Schweizer,

vielen Dank für diesen interessanten Artikel. Ich mußte bei dem teilweise sehr emotionalen Bericht von Herrn Ferro immer wieder schmunzeln. Dennoch kann ich seine Wut gut verstehen. Denn auch ich erlebe immer wieder in Firmen und auf ITIL Kongressen dieses Bild. Gleichwohl kann ich nur bestätigen, daß dies durch eine falsche Denkweise und Anwendung des IT Frameworks zustande kommt. Anstatt ITIL als das zu verstehen was es eigentlich ist – als ein Framework – lassen sich Manager von „Best Practice“ derart verleiten, daß sie genau das gleiche wollen anstatt zu überlegen, was Ihr Unternehmen und letztlich der Kunde/ Business wirklich brauchen (vgl. CobIT: „adapted to suit for enterprise needs“).

Oft werden die neu gewünschten Prozesse in einem Big Bang ausgerollt oder „out-of-the-box-unpassend“ genommen, was die operative Ebene vollkommen überfordert. Das was dann initial schon vorhanden war, wird gleich mit geändert, anstatt sich auf die wahren „Pain Points“ zu konzentrieren und genau dort anzufangen. Für mich eine der Hauptursachen, warum ITIL „gehaßt“ wird. Wenn dann in einem ungesunden Verhältnis die Einhaltung der Prozesse mehr Stellenwert erhält als der Mitarbeiter selbst, wenn es nur noch um KPI- und jährliche Zielerfüllung geht, statt der neuen Veränderung Zeit und Raum zu geben (vgl. „Enterprise Change Management“), dann wandelt sich der Arbeitsplatz eben auch manchmal in einen „unhappy workplace“.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich finde ITIL absolut wertvoll und bereichernd für das Business und die IT. Aber eben nur dann, wenn es richtig angewendet wird. Die dabei von Ihnen beschriebenen Herausforderungen halte ich für notwendig, sie müssen aber auch richtig adressiert und umgesetzt werden. Hier darf sich gerne eine neue Sichtweise im Management etablieren, denn ITIL gibt’s eben nicht mal schnell einfach so.

ITIL aber zu verdammen und den Fokus nur auf agile Entwicklungen, DevOps, Cloud-Lösungen zu legen, halte ich für ebenfalls gefährlich. Vielmehr sollte es eine gesunde Mischung sein, indem ITIL und CobIT so in das Unternehmen etabliert werden, daß die operative Ebene auch tatsächlich aktiv eingebunden und unterstützt wird. Damit meine ich v.a. eine Umsetzung mit strategischer Unternehmensweitsicht, Enterprise Architecture Management-Denken, richtiges Servicemanagement, Risikobewußtsein, Business-IT-Alignment sowie dem Einsatz von effizienten Kontrollmechanismen. Bspw. habe ich neulich in meiner Firma einen Vortrag gehalten, daß Cloud nicht nur aus private und public besteht, sondern eben wie jeder Supplier auch kontrolliert und gesteuert werden muß. Und wie dies durch ITIL und CobIT-Prozesse erreicht werden kann, um Security Lacks, ungeplante Kosten oder Vendor-Lock-ins zu vermeiden. DevOps Ansätze zur frühzeitigen Integration der Entwickler in das Design werden übrigens auch in ITIL beschrieben (vgl. „Service Design“).

Sowohl Herr Ferro als auch Sie schreiben, daß ITIL „umgedacht“ werden sollte. Herr Ferro spricht sogar von einem „neuen Framework“. Er wünscht sich hier v.a. eine starke Ausrichtung auf DevOps, Handlungsermächtigung der Mitarbeiter, mehr Praktiker, Teamwork und übergreifende Zusammenarbeit sowie klare Verantwortlichkeiten. Das unterstütze ich natürlich. Dennoch findet ab hier eine Vermischung der Themen statt. Denn diese Verantwortung sollten wir nicht einfach nur einem IT Framework überlassen. Vielmehr ist diese Verantwortung bei uns zu sehen – als eine Führungsaufgabe sowie ein neues Führungs- und HR-Denken. Hierzu gehört viel Mut. Alte Organisationsstrukturen der Linie müssen aufgebrochen werden, Peter-Syndrom-Abteilungen neu besetzt und die Governance-Abteilungen sich vereinigen. Transparenz, Offenheit und Vertrauen müssen gelebt werden.

Viel zu tun also noch. ITIL grundlegend neu aufzubauen ist aus meiner Sicht aber nicht zielführend. Eine Anpassung an die aktuellen Gegebenheiten würde genügen und wäre auch mal wieder angebracht.

Die „Unternehmensgeheimnisse der Besten“ sollten somit nicht „zerstört“, sondern verständlicher geschrieben und besser erklärt werden (vgl. „ITIL Awareness-Kampagnen“). Denn noch immer wird ITIL „falsch“ gehandhabt.

Ihren Fazit schließe ich mich daher sehr gerne an.
Danke für diesen konstruktiven Beitrag. Ich bin schon gespannt auf Ihre weiteren Blogs.

Viele Grüße
Antje K. Kraus