BAM! – Das Business Agility Manifesto

Um agile Prinzipien erfolgreich anzuwenden, ist es erforderlich, sich dem iterativen und inkrementellen Paradigma zu verpflichten.

Autor/in Markus Schacher
Datum 15.01.2018
Lesezeit 7 Minuten

Der Begriff «Agilität» ist heute allgegenwärtig. In den meisten Fällen geht es um die rasche und flexible Entwicklung von IT-Lösungen, sodass diese einem Unternehmen in möglichst kurzer Zeit einen optimalen Nutzen erbringen. Mit agilen Methoden wie Scrum oder ähnlichen werden in kurzen Iterationen Systeme entwickelt, die optimal auf Kunden- und Marktbedürfnisse ausgerichtet sind. Mit agilen Frameworks wie SAFe werden diese Ansätze auf mehrere, parallel entwickelte Produkte und damit auf die Ebenen «Programm» und «Portfolio» skaliert. Aber wird dadurch auch ein Unternehmen als Ganzes agil?

Am 15. März 2018 stellen John Zachman (bekannt durch das nach ihm benannten Zachman Framework™), Ron Ross (der Vater des Business Rules Ansatzes) und Roger Burlton (Gründer der Process Renewal Group und von BPTrends.com) bei Digicomp in Zürich ihr «Business Agility Manifesto» vor. Dieses Manifest fasst die Voraussetzungen zusammen, die es braucht, damit sich ein Unternehmen in einem stetig wandelnden Umfeld behaupten und agil weiterentwickeln kann.

Unternehmen in einem sich permanent verändernden Umfeld

Die technologische Innovationsgeschwindigkeit zwingt Unternehmen heute zu immer rascheren Anpassungen ihres Geschäfts. Solche Anpassungen erfordern fundierte Entscheidungen zur Steigerung oder zumindest Erhaltung der Wertschöpfung eines Unternehmens. Die Tätigkeiten zur Herstellung seiner Produkte oder zur Erbringung seiner Dienstleistungen bilden die Wertschöpfungsketten des Unternehmens. Die entsprechenden Prozesse werden heute meist in umfangreicher Weise durch IT-Systeme unterstützt oder gar automatisiert. Die blosse agile (Weiter-)Entwicklung dieser IT-Systeme reicht aber nicht aus, um die Prozesse neuen Gegebenheiten anzupassen: Erst müssen die Prozesse auf die neuen Wertschöpfungsketten ausgerichtet werden. Bei lediglich lokalen Anpassungen der Systeme besteht zudem die Gefahr, dass schwer wartbare Silos entstehen und die übergreifende Nutzererfahrung beeinträchtigt wird. Um die bestehenden Wertschöpfungsketten nicht unnötig zu gefährden, sollten daher wichtige Entscheidungen auf der Grundlage der Zusammenhänge des Geschäftswissens gefällt werden. Dieses Wissen ermöglicht die Vorhersage von Auswirkungen geplanter Veränderungen und bietet klare Entscheidungskriterien für die (Um-)Gestaltung des Geschäfts, aber auch für Software-Implementierungs-Initiativen.

Geschäftswissen und die Geschäftswissensbasis

Geschäftswissen ist nicht dasselbe wie Software-Entwicklungs-Wissen. Es beschreibt Geschäftsfunktionen, Geschäftsregeln, Ressourcen und Gestaltungsmöglichkeiten eines Unternehmens, die für die Schaffung, den Betrieb, das Management und die Anpassung seiner Wertschöpfungsketten sowie für die Bewertung seiner Leistung erforderlich sind. Eine zentrale Komponente des Geschäftswissens ist ein Vokabular, das die Grundlage für das gemeinsame Verständnis innerhalb des Unternehmens bildet. Damit dieses Geschäftswissen effektiv genutzt und weiterentwickelt werden kann, muss es in einer expliziten, für alle relevanten Personen zugänglichen, geschützten, gemeinsam nutzbaren und aktualisierbaren Form bereitgestellt werden. Diese Geschäftswissensbasis soll die zentrale und einzige Quelle aller wichtigen Geschäftszusammenhänge sein und wird daher oft auch als «Single Source of Truth» bezeichnet. Diese ist entscheidend für das Auffinden und Wiederverwenden von Geschäftsfunktionen sowie für die Vorhersage und Reduktion der Auswirkungen von Änderungen im Geschäftsmodell eines Unternehmens. Im Zeitalter des Wissens ist sie daher ein zwingender betriebswirtschaftlicher Wert, der in den Zuständigkeitsbereich der Geschäftsleitung fallen sollte.

Kernkonzepte des Business Agility Manifesto

Abbildung: Kernkonzepte des Business Agility Manifesto

Geschäftsintegrität und Geschäftsstrategie

Inkonsistente oder widersprüchliche Geschäftsergebnisse, die sich auf externe Stakeholder wie Kunden oder Aufsichtsbehörden auswirken, verringern die Glaubwürdigkeit eines Unternehmens und verursachen potenziell rechtliche Konsequenzen. Für die Sicherstellung eines konsistenten Verhaltens des Unternehmens sowie wiederholbarer operativer Entscheidungen sind Geschäftsregeln ein wesentlicher Bestandteil des Geschäftswissens. Diese Regeln bilden auch ein Kernelement für die Umsetzung einer Geschäftsstrategie und zur Gestaltung von Geschäftsprozessen und Produkten. Explizites Geschäftswissen ist daher von unschätzbarem Wert und zunehmend unverzichtbar, um Wettbewerbsvorteile zu sichern oder um neue Mitbewerber auf Distanz zu halten. Angesichts des Innovations- und Veränderungstempos sind Lösungen für die Steigerung der Agilität eines Unternehmens daher von entscheidender Bedeutung.

Implikationen auf die Applikationsentwicklung

Die Konsequenzen aus dem Business Agility Manifesto auf die Gestaltung geschäftsunterstützender IT-Lösungen lassen sich durch die folgenden Punkte zusammenfassen:

  • Es ist davon auszugehen, dass schnelle und nachvollziehbare Änderungen nach der erstmaligen Bereitstellung von Geschäftsprodukten, Geschäftsprozessen und anderen Infrastrukturinvestitionen unvermeidlich sind.
  • Die herausragende Eigenschaft einer IT-Lösung ist ihre Rekonfigurationsagilität: die Art und Weise, wie sie zu jedem beliebigen Zeitpunkt konfiguriert oder schnell umkonfiguriert werden kann.
  • Die Grundbausteine für diese Rekonfigurationsagilität sollten auf Geschäftswissen basieren, das in einer zentralen Geschäftswissensbasis abgelegt ist.
  • Die schnellere Entwicklung von Code ist nicht die adäquate Antwort auf unternehmerische Agilität. Die Software-Industrie sollte neue interaktive Werkzeuge zur Verfügung stellen, um eine schnelle Rekonfiguration von Geschäftsprodukten und -prozessen zu unterstützen.
  • Es sind automatisierte Wissensbegleiter wünschbar – Bots, die Geschäftswissen auf Lücken, Konflikte, Mehrdeutigkeiten und Vollständigkeit überprüfen und Änderungsverantwortlichen wertvolle Hinweise geben können.

Zusammenfassung

Es gibt nichts, was die Umsetzung obiger Prinzipien verhindern oder verbieten würde. Der einzige logische Grund, diese Prinzipien zu ignorieren, ist die Ansicht, dass es wichtiger sei, Software schneller zu entwickeln, als den Erfolg des Unternehmens in einer zunehmend dynamischen, komplexen und risikoreichen Umwelt sicherzustellen. Selbstverständlich müssen in der Praxis nicht alle diese Prinzipien vollständig umgesetzt oder permanent angewandt werden: Dies wird Zeit, Hingabe und viel Ausdauer erfordern. Für deren Verwirklichung ist einzig erforderlich, sie in die Praxis umzusetzen und sich engagiert einem iterativen und inkrementellen neuen Paradigma zu verpflichten. Irgendjemand wird das sicher tun … am besten Sie selbst!


Autor/in

Markus Schacher

Markus Schacher ist Mitbegründer und KnowBody von KnowGravity Inc., einem Beratungsunternehmen mit Sitz in Zürich (Schweiz), welches sich auf modellbasiertes Engineering spezialisiert hat. Als Trainer hat Markus bereits 1997 die ersten öffentlichen UML-Kurse in der Schweiz durchgeführt und hat als Berater vielen grossen Projekten geholfen, modellbasierte Techniken einzuführen und nutzbringend anzuwenden. Seit 2005 unterstützt er auch Unternehmen in den Bereichen "Ganzheitliche Unternehmensarchitektur" sowie "Business/IT-Alignment". In Kooperation mit Digicomp und der HWZ bildet er zudem als Trainer im CAS-Lehrgang "IT Architecture" Architekten und Architektinnen aus.