Wie sich die Auftraggeberorientierung auf HERMES-Projekte auswirkt
HERMES stellt die Auftraggeberperspektive in den Mittelpunkt. Das prägt Rollen, Zieldefinitionen und die Zusammenarbeit mit Lieferanten. Betrieb, Total Cost of Ownership und Risikominimierung stehen im Fokus. Lerne, wo HERMES stark ist, welche Lücken bei der Lieferantenintegration bestehen und wie du die Methode punktuell ergänzt, damit Projekte wirtschaftlicher und effizienter werden.
Der HERMES-Projektmanagement-Standard nimmt konsequent die Perspektive der Auftraggebenden ein, meist Behörden oder Verwaltungen. Dadurch unterscheidet sich HERMES von vielen anderen Projektmanagementmethoden, die ursprünglich für Auftragnehmer oder interne Projekte entwickelt wurden. Diese Ausrichtung hat weitreichende Folgen und prägt alle Bereiche von HERMES-Projekten.
Die Auftraggeberperspektive als Grundprinzip
HERMES ist ein bewusster Gegenentwurf zu Methoden, die sich am Auftragnehmer orientieren. Während die meisten Projektmanagementmethoden von erfahrenen Projektleitern aus grossen und erfolgreichen internationalen Unternehmen geprägt wurden, bevor sie standardisiert wurden, hat HERMES andere Wurzeln. Ähnlich wie PRINCE2 in England oder das V-Modell XT in Deutschland wurde HERMES als Regierungsstandard entwickelt und konsequent aus der Sicht des Auftraggebers konzipiert.
Klare Verantwortung des Auftraggebers ist beschrieben und eingefordert
Den Entwicklern von HERMES ist bewusst, dass eine Behörde zunächst verschiedene Meinungen konsolidieren muss, bevor ein Projekt überhaupt gestartet werden kann. Die Verantwortung des Auftraggebers wird daher sehr präzise beschrieben. Die Abstimmung mit übergeordneten Zielen, Strategien und Umsystemen ist zentral für jeden Auftraggeber und sollte Teil des Vorgehens sein – mit oder ohne HERMES.
Das Projekt wird aus der Perspektive der späteren Nutzer und Betreiber betrachtet, was verhindert, dass technisch perfekte Lösungen entstehen, die am tatsächlichen Bedarf vorbeigehen.
In der Praxis zeigt sich, dass die Rolle des Auftraggebers in der Privatwirtschaft oft weniger klar definiert ist als bei HERMES. Da jedes Unternehmen auch Auftraggeber eigener Projekte ist, kann die Privatwirtschaft hier von HERMES lernen.
Auswirkungen auf die Arbeit im Projekt
Vorteile: Betrieb ist berücksichtigt, TCO aus Sicht der Nutzer-Organisation
Die konsequente Auftraggeberorientierung sorgt dafür, dass der spätere Betrieb von Anfang an berücksichtigt wird. HERMES betrachtet die Wirtschaftlichkeit langfristig und ganzheitlich. Die Total Cost of Ownership (TCO) aus Sicht der Nutzerorganisation ist von Beginn an Teil der Betrachtung. Das sollte zum Grundwissen jeder Projektleitung gehören. In der Praxis wird es jedoch oft vernachlässigt.
HERMES fokussiert auf Ergebnisse und auf das «Was». Das «Wie» ist den Anwendenden freigestellt. Das ist ein Vorteil. HERMES ermöglicht alle gängigen Vorgehensweisen, ohne sie selbst vorzuschreiben. Die Projektleitung muss das wissen. Sie kann auf zusätzliche Vorgaben der Organisation aufbauen oder ihre Erfahrung einbringen und so das gewünschte «Wie» beeinflussen.
Nachteile: Lösungsentstehung muss selbst organisiert werden
Die effiziente Umsetzung der Lösung ist in HERMES nur indirekt beschrieben und nur bei interner Leistungserbringung relevant. Bei grossen und komplexen Vorhaben überwiegt meist der Anteil externer Leistungen. Anspruchsvolle Dienstleistungen und Produkte werden eingekauft. HERMES fokussiert dabei weniger auf die effiziente Leistungserbringung. Die effiziente Einbindung externer Leistungen muss die Projektleitung selbst planen und umsetzen.
In Sachen kosteneffiziente Umsetzung sind andere Methoden oft stärker durchdacht. Dafür liefert HERMES sehr gute Vorgaben für Einführung, Schulung, Betrieb und Dokumentation.
Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit
Vorteile: Ganzheitliche Wirtschaftlichkeitsbetrachtung und Risiko-Überlegungen
Die ganzheitliche Sicht von HERMES ist bei jedem Projekt wichtig. Dies führt dazu, dass auch Privatunternehmen HERMES einführen, um die Wirtschaftlichkeit aus Kundensicht zu betrachten und damit mehr Aufträge zu gewinnen. Die ganze Erfahrung aus früheren, erfolgreichen und weniger erfolgreichen Projekten ist in die Methode integriert und reduziert das Risiko von HERMES-Projekten.
Nachteile: Wettbewerb nur aus Auftraggebersicht, «Design to Cost» fast gar nicht berücksichtigt
Bei HERMES steht der Wettbewerb nicht im Vordergrund, da eine Behörde im Normallfall keine Konkurrenz hat.. Der Fokus liegt stärker auf der Risikominimierung als auf der Senkung des Gesamtaufwands.
Bei kleinen, mittleren oder wenig riskanten Projekten braucht es Mut, um einzelne Elemente von HERMES wegzulassen. Ansätze wie «Design to Cost» fehlen weitgehend. HERMES gewichtet die Risikoreduktion klar höher als «Time to Market». Es braucht unternehmerisches Denken, um beide Aspekte ins Gleichgewicht zu bringen.
Wo HERMES von anderen Projektmanagement Methoden profitieren kann
Mit Ergänzungen aus anderen Methoden wird HERMES noch wirkungsvoller. Viele der genannten Nachteile lassen sich mit erprobten Best Practices aus Unternehmen und Verwaltungen ausgleichen. HERMES kann punktuell von anderen Ansätzen lernen und dadurch flexibler werden.
Ein Punkt sollte im Handbuch präziser beschrieben werden: HERMES-Projekte werden fast immer mit externen Lieferanten umgesetzt. Dabei ist es oft nötig, Rollen doppelt zu besetzen. Ergebnisse werden organisationsübergreifend erstellt und verantwortet – die effiziente Zusammenarbeit ist zentral.
In der Praxis gibt es fast immer zwei Projektleitende, eine kundenseitige und eine lieferantenseitige Person. Entscheidend ist die enge Abstimmung zwischen diesen beiden Rollen. Auch andere Rollen sind teils doppelt besetzt. Die Herausforderung liegt darin, Arbeit nicht doppelt zu leisten.
Grundsätzlich gibt es zwei Wege: Entweder wird die Lösungsentwicklung vollständig an den Lieferanten delegiert, oder die Aufgaben werden aufgeteilt. In beiden Fällen müssen beide Organisationen genügend Kompetenz behalten oder aufbauen, damit die Zusammenarbeit auf Augenhöhe gelingt.
Das zeigt sich gut am Beispiel des Informationssicherheits- und Datenschutz-Konzepts (ISDS-Konzept) : Bestimmte Teile, wie Schutzziele, gehören zur Verantwortung des Auftraggebers, während technische Aspekte meist beim Lieferanten liegen. Es lohnt sich, die Verantwortungen früh festzulegen und gemeinsam auf ein stimmiges Ergebnis hinzuarbeiten.
Fazit: Auftraggeberorientierung als Stärke mit Entwicklungspotential
HERMES ist eine vielseitige Projektmanagementmethode. Sie lässt sich flexibel an unterschiedliche Projekte und Vorgehensweisen anpassen. Alle zentralen Elemente eines professionellen Projektmanagements sind enthalten.
Die konsequente Ausrichtung auf die Auftraggebenden stärkt die Zusammenarbeit. Sie entfaltet Wirkung, wenn alle Beteiligten ihre Rollen und Beiträge klar kennen. Diese Stärke bringt gleichzeitig Herausforderungen mit sich.
Das grösste Entwicklungspotenzial liegt in der konkreteren Beschreibung der Zusammenarbeit mit Lieferanten. Dieser Aspekt spielt in fast jedem HERMES-Projekt eine wichtige Rolle.