Der Wunsch des Mitarbeitenden nach Eigenverantwortung

Mitarbeitende wünschen sich mehr Eigenverantwortung, Chefs wünschen sich, dass Mitarbeitende mehr Eigenverantwortung übernehmen. «Das passt ja perfekt!» – könnte man meinen! Die Realität zeigt leider ein anderes Bild, und häufig fehlt es am Mut. Sue Ruf erläutert uns, unter welchen Bedingungen es klappen kann und was das mit Kochen zu tun hat.

Autor/in Suzanne Ruf
Datum 22.01.2020
Lesezeit 6 Minuten

Wenn man Menschen dazu befragt, was ihnen bei einem Chef oder einer Chefin wichtig ist, steht ein Wunsch immer ganz oben. Mitarbeitende wünschen sich, dass ihnen ihre Vorgesetzten mehr Eigenverantwortung zutrauen.

Dieser Wunsch ist in der Rubrik Coaching sogar der Quotenrenner. Auch in meiner eigenen Coachingpraxis mit Führungsverantwortlichen, wird das Thema Eigenverantwortung der Mitarbeitenden oft angesprochen.

Auch Chefs wünschen sich, dass die Mitarbeitenden Eigenverantwortung übernehmen.

Das trifft sich ja gut, beide Seiten wünschen sich also dasselbe, könnte man meinen. Doch wie sieht es in der realen Welt aus?

Gerade diese Woche hatte ich einen Unternehmer im Coaching, der mir versicherte, er wünsche sich, dass seine Mitarbeitenden Eigenverantwortung übernehmen. Also haben wir uns den Zyklus angeschaut, in welchem er bereits drin steckt.

Im Beispiel dieses Unternehmers war schnell klar, er wünscht sich zwar, dass die Mitarbeitenden Verantwortung übernehmen, aber er wünscht sich auch, dass die Aufgaben ganz genau so gelöst werden, wie er sich das vorstellt.

Und was lernt dann der Mitarbeitende dabei?

«Ich mache lieber nur genau das, was der Chef sagt, sonst ist es ja sowieso nicht recht.»

Warum passiert denn diese Verantwortungsübernahme nicht, obwohl sich der Chef das wünscht?

Das hat mich an einige Situationen aus unserem Familienalltag erinnert. Wie oft habe ich mir gewünscht, dass die Kinder am Wochenende mal die Initiative ergreifen und für die Familie kochen. Wenn wir dann vereinbart hatten, dass sie kochen, habe ich mich selbst ertappt, wie ich um die Küche geschlichen bin und – mehr oder weniger – heimlich geschaut habe, ob sie denn auch ja alles richtig machen.

Das Klima in der Küche war somit eher eisig kalt als herzlich warm, weil die Kids ja gespürt haben, dass sie unter ständiger Beobachtung sind und den unausgesprochenen Druck, es richtig – also nach meiner Manier – zu machen, auf den Schultern gespürt haben.

Kein Wunder, hat ihnen das Kochen so keinen Spass gemacht, auch wenn das Essen immer fein war. Es war also in der Konsequenz nicht daran zu denken, dass sie sich mal freiwillig und aus eigener Initiative zum Kochen melden.

An einem Wochenende habe ich mir dann vorgenommen, es diesmal anders zu machen. Die Kinder wurden mit Rezepten versorgt und es war eingekauft, nun sollten sie selbst und alleine nach Rezept kochen. Ich habe mich aktiv bemüht, nicht in der Küche herumzulungern, sondern ihnen die Freiheit zu lassen, es so zu machen, wie sie es wollen. Die Prozessbeschreibung in Form des Rezeptes hatten sie ja. Was mir anfangs sehr schwer gefallen ist, hat sich im Verlauf dieser ein bis zwei Stunden Kochzeit plötzlich recht gut angefühlt.

Warum?

Weil die gefühlte Temperatur in der Küche nicht vom Druck, es richtig zu machen oder unter Beobachtung zu sein, geprägt war, sondern von der Experimentierlust der Köche und der Freude daran, etwas zur Gemeinschaft beitragen zu können. Und vielleicht war sogar eine Prise Gamification dabei, weil sie von mir mit den Rezepten herausgefordert wurden. Uns allen hat das Essen sehr gut geschmeckt und die Stimmung am Tisch war fröhlich und freudig. Ganz anders als die letzten Male. Die Kids haben sogar zurückgemeldet, dass sie sich sehr wohl vorstellen könnten unter diesen Rahmenbedingungen, wieder mal für uns zu kochen. Ein Durchbruch!

Damit also, dass ich den Kindern zugetraut habe, dass sie es in ihrer ganz persönlichen Art richtig machen und ich ihnen nur die Rahmenbedingungen für das Kochen gegeben habe, konnten sie auch wirklich die Verantwortung übernehmen.

Meist fehlt es am Mut loszulassen

Und genau das fehlt manchmal den Chefs in den Unternehmungen. Der Mut, den Mitarbeitenden zuzutrauen die Verantwortung auch wirklich und voll zu übernehmen. Auch auszuhalten, dass die Handlungen von Mensch zu Mensch unterschiedlich sind, und trotzdem ein erfolgreiches Resultat erzielt werden kann. Die Ergebnisse können nämlich gut und messbar vereinbart werden, ohne dass jeder einzelne Schritt vorgegeben werden muss. Das fördert auf Seiten der Mitarbeitenden Stolz und Motivation, einen wichtigen Beitrag zu leisten und auf Seiten der Chefs die Freiheit, Dinge einfach delegieren zu können mit dem Vertrauen, dass die Ergebnisse wie vereinbart geliefert werden.

Was können die beiden Parteien also konkret tun?

1. Erwartungen und Verantwortungsbereiche explizit klären
2. Aufgaben vollumfänglich mit den Rahmenbedingungen delegieren
3. Erfüllung der Aufgaben anhand der Ergebnisse monitoren

Zu Beginn können das kleine Aufgaben sein, damit sich alle Beteiligten an diese neue Art des Zusammenarbeitens gewöhnen können. Bis dann sogar ganze Mandate oder Projekte in die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden übergeben werden können.

Ich wünsche Ihnen viel Mut und Experimentierfreude dabei!


Autor/in

Suzanne Ruf

Suzanne Ruf begleitet seit vielen Jahren und mit grossem Erfolg Menschen und Organisationen in Veränderungen. Sie ist Motivationscoach, Organisationsentwicklerin und erfahrene Trainerin. Mit ihrer breaksru gmbh unterstützt sie KMU in deren kontinuierlicher und nachhaltiger Weiterentwicklung. Dabei verliert sie nie aus den Augen, welche Auswirkungen die geplanten Veränderungen für die betroffenen Menschen haben. Die Verknüpfung der menschlichen Ebene mit den organisatorischen Fakten sind ihr Erfolgsrezept.