Was wir aus der Geschichte der Automatisierung lernen können

Die Automatisierung ist nicht neu. Tatsächlich begleitet sie uns seit der Erfindung des mechanischen Webstuhls. IT-Experte Robert Weiss erklärt, warum der Blick zurück hilft, auch künftig die Chancen der Automatisierung zu nutzen.

Autor/in Robert Weiss
Datum 08.08.2019
Lesezeit 5 Minuten

Marketingspezialisten sind wahre Genies, wenn es darum geht, «alten Wein in neuen Schläuchen» zu verkaufen. Ein einprägsames Beispiel ist Virtualisierung – IBM demonstrierte diese bereits 1970 mit dem Betriebssystem VM/370 beim System/370. Oder Cloud Computing – schon 1995 zeigte das Fraunhoferinstitut die Groupware BSCW, laut Definition ein Cloud-Ansatz. Und eben die in aller Munde präsente Digitalisierung, die schlicht der «alten» Automatisierung entspricht.

Digitalisierung: Fluch oder Segen?

Sucht man die Ursprünge der Digitalisierung in den Komponenten oder Systemen, so muss man den Z3 von Konrad Zuse aus dem Jahr 1941 heranziehen, der erste funktionsfähige, frei programmierbare, auf dem binären Zahlensystem (Gleitkommazahlen) und der binären Schaltungstechnik basierende Rechner der Welt. Andere Historiker, vor allem aus den USA, sehen im ersten Mikroprozessor aus dem Jahr 1971 den Anfang der Digitalisierung. Mit dem 4004 stellte Intel die erste frei programmierbare integrierte Schaltung vor, ein Baustein, welcher unser Leben signifikant verändern sollte.

Die Furcht vor diesem Baustein war in den Medien sehr gross. Der «Jobkiller» war lanciert. «Roboter erobern unsere Arbeitsplätze!». Die Arbeitslosigkeit sollte sprunghaft ansteigen. Der Bund reagierte mit zwei Impulsprogrammen von Waldemar Jucker Ende der 70er und Anfangs der 80er. Das Resultat aus heutiger Sicht: Der Mikroprozessor hat schlussendlich zu deutlich mehr Arbeitsplätzen geführt.

Und heute präsentiert sich uns genau das gleiche Bild, der Mikroprozessor wurde durch die Industrie 4.0, die intelligente Fabrik, ersetzt. Wiederum ist die Politik gefragt, um unsere Fertigungsindustrie aus ihrem immensen Kostendruck zu befreien und die Auslagerung von Produktionen ins Ausland zu verhindern bzw. einzuschränken. Aber gerade die moderne Automatisierung könnte in Hochlohnländern wie der Schweiz eine wichtige Rolle übernehmen, um dies zu verhindern. Nur die Chance darf nicht verpasst werden.

Geschichte der Automation

Industrielle Revolutionen als Zeitspiegel von Industrieepochen

Die Entwicklung der Automatisierung lässt sich in vier verschiedene Phasen aufteilen, welche gerne als industrielle Revolutionen bezeichnet werden.

Die erste industrielle Revolution gründete in der Einführung von mechanischen Produktionsanlagen mit Hilfe von Wasser- und Dampfkraft. Der Startpunkt dazu war der mechanische Webstuhl Ende des 18. Jahrhunderts.

Ende des 19. Jahrhunderts begann die Einführung der arbeitsteiligen Massenproduktion mit Hilfe von elektrischer Energie und damit die zweite industrielle Revolution. Das erste Fliessband wurde 1870 in den Schlachthöfen von Cincinnatti eingeführt.

Der Einsatz von Elektronik und IT zur weiteren Automatisierung der Produktion startete die dritte industrielle Revolution am Anfang der 70er Jahre. Als erstes Produkt war hier die Speicherprogrammierbare Steuerung (SPS), die Modicon 084, im Jahr 1969 im Einsatz.

Und heute zelebrieren wir im Rahmen der vierten Phase der Automatisierung die Industrie 4.0, welche auf cyber-physischen Systemen beruht und uns die Realisierung von intelligenten Fabriken bzw. «Smart Factory» ermöglicht.

Wodurch zeichnet sich die 4. industrielle Revolution aus?

Generell umfassen cyber-physische Systeme eine hohe Komplexität. Sie sind sehr IT-lastig ausgelegt und ihre Steuerung erfolgt einerseits über den Markt, aber auch über die Infrastruktur (Enbedded Logic) selbst. Die klassische Fertigung wird durch eine additive Fertigung ersetzt und ermöglicht so das «Rapid Prototyping» und das «Rapid Manufacturing». Dadurch erfolgt ein Wechsel von der Massenproduktion zur Einzelfertigung, die ganz neue Chancen bietet.

Mit der Einzelfertigung wird auch der bisherige Produktionskreislauf geschlossen:  von der handwerklichen Produktion Mitte 19. Jahrhunderts zur Massenfertigung ab Mitte der 50er Jahre zur individualisierten Massenfertigung ab den 80er Jahren  über das «Lean Manufacturing» zur personalisierten Fertigung mit rekonfigurierbaren Herstellungssystemen («Smart Manufacturing»).

Neu ist ebenso die Betrachtungsweise, dass eine Fabrikation sich in einem globalen Umfeld mit unterschiedlichsten Einflussgrössen wie Energie, Produkt, Mobilität, Logistik und Infrastruktur präsentieren muss. Dies zwingt Unternehmem zum Umdenken unter Berücksichtigung von Menschen, Organisation, Dynamik, Individualität, Volatilität und Konnektivität.

Ist dazu aber die Bereitschaft überall vorhanden? Das ist die grosse Frage.


Autor/in

Robert Weiss

Robert Weiss ist einer der wenigen noch aktiven Urgesteine der Informatik und ist bekannt als Referent, Publizist, Buchautor und Moderator. Seine unzähligen Auftritte im TV und Radio machten ihn zu einer gefragten Person, um komplexe Inhalte der IT einem breiten Publikum verständlich darzulegen.