Die digitale Transformation der Arbeitswelt (2): Organisationsstruktur

Im letzten Beitrag hat Agnieszka Rychlewska begonnen, die digitale Transformation der Arbeitswelt genauer anzuschauen. In diesem Beitrag wirft sie einen vertieften Blick auf die Änderungen der Organisationsstruktur.

Autor Agnieszka Rychlewska
Datum 13.02.2018
Lesezeit 7 Minuten

Im letzten Beitrag habe ich begonnen, die digitale Transformation der Arbeitswelt, unterteilt in neun Bereiche, genauer anzuschauen. Heute möchte ich einen vertieften Blick auf die Änderungen der Organisationsstruktur werfen.

Die Global Human Capital Trends-Studie von Deloitte hat zwei Jahre in Folge «Organisation der Zukunft» als den wichtigsten Trend aufgezeigt. Befragt wurden mehr als 10’000 Geschäfts- und Personalleitern aus der ganzen Welt, darunter 126 aus der Schweiz. In der Schweiz haben 2017 90% der Befragten diesen Trend als wichtig bzw. sehr wichtig genannt. Fast alle, weil 98% bestätigten, dass «Agilität und Zusammenarbeit» kritisch sind, aber nur 4% empfinden sich heute bereits als sehr agil. Die Infografik zeigt die wichtigsten Erkenntnisse.

Quelle: Deloitte Global Human Capital Trends Switzerland 2017
Quelle: Deloitte Global Human Capital Trends Switzerland 2017

Warum ist eine neue Organisationsstruktur so wichtig?

Um das zu verstehen, lohnt sich zuerst einmal ein Exkurs in die Zeit, als die bestehende Organisationsstruktur entstanden ist.

Laut dem Wirtschaftshistoriker und Ökonom Alfred Chandler ist diese im Industriezeitalter in Bahnbetrieben entstanden. Früher haben Geschäftsinhaber oder -partner die gesamte Geschäftstätigkeit gesteuert und alle Entscheidungen wurden zentral an einem Ort getroffen.

Mit der Einführung des Bahnverkehrs wurde die Geschäftstätigkeit komplizierter. Zum Beispiel musste man auch entlang den Bahnstrecken Entscheidungen treffen, um auf mögliche Störungen, Wetterbedingungen u.Ä. reagieren zu können. So wurde die Verantwortung an verschiedene «Manager» aufgeteilt, die die Verantwortung für ihren spezifischen Kompetenzbereich getragen haben.

Im Laufe der Zeit haben auch andere Betriebe solche Strukturen eingeführt und weitere (vertikale) Hierarchiestufen und (horizontale) Fachfunktionen sind dazugekommen. Die Kompetenzbereiche waren klar abgetrennt und Entscheidungswege klar geregelt.

Die Zeiten haben sich geändert

So wie zu Beginn des Industriezeitalters die damals führende Bahnindustrie eine neue Organisationsstruktur entwickelt hat, braucht es eine neue Organisationsstruktur für das Digitalzeitalter. Heute kann man die Kompetenzen nicht mehr klar trennen, weil dank der digitalen Technologie alles vernetzt und voneinander abhängig ist. Ebenso ist der bestehende Weg, Entscheidungen zu treffen, viel zu langsam für die dynamische und von einem ständigen Wandel geprägte Welt.

Die Deloitte-Studie stellt die beiden Welten in einer Tabelle gegenüber, die ich Ihnen nachfolgend (übersetzt) vorstelle. Ich denke, es ist hier wichtig zu sagen, dass die «alten» und «neuen Regeln» ohne Wertung wahrgenommen werden sollten. Es geht nicht darum, was besser oder schlechter ist. Es ist einfach anders, weil sich eben die Zeiten geändert haben.

Organisationsstruktur

Alte Regeln

Neue Regeln

Gestaltet für Effizienz und Effektivität Gestaltet für Lernfähigkeit, Innovation und Nähe zum Kunden
Unternehmen als Hierarchie, mit hierarchischer Entscheidungskompetenz, Struktur und Führung Unternehmen als ein agiles Netzwerk, Teams durch die Führung ermächtigt und geprägt von Kollaboration und Wissenstransfer
Struktur basiert auf Geschäftsfunktionen, mit funktioneller Führung und globalen funktionellen Gruppen Struktur basiert auf Aufgaben und Projekten, Teams konzentrieren sich auf Produkte, Kunden und Dienstleistungen
Berufliches Fortkommen durch Beförderung mit mehreren Karrierestufen Berufliches Fortkommen durch viele Aufträge, unterschiedliche Erfahrungen und interdisziplinäre Leadership-Erfahrung
Menschen «werden Leader» durch Beförderung Menschen «gewinnen Follower», um die eigene Wirkung und Autorität zu stärken
Leiten durch Anweisungen Leiten durch Orchestrierung
Kultur dominiert durch die Angst vor Versagen  und Meinungen anderer Kultur der Sicherheit, Reichhaltigkeit, Risikobereitschaft und Innovation
Regel-basiert Drehbuch-basiert
Klar definierte Rollen und Funktionen Klar definierte Teams und Verantwortlichkeiten, aber Rollen und Funktionen wechseln regelmässig
Prozessorientiert Projektorientiert

Quelle: Deloitte Global Human Capital Trends 2017, eigene Übersetzung

Was heisst das für Sie?

Wie im letzten Beitrag angetönt, geht es in dieser Blogserie darum, die Herausforderungen der digitalen Transformation zu verstehen und diese als Chance wahrzunehmen. Das Ziel dieses Beitrags war es, zu zeigen, dass es für die digitale Transformation nicht reicht, die bestehenden Prozesse und Kundeninteraktionen zu digitalisieren oder digitale Produkte anzubieten. Vielmehr muss die Organisationsstruktur neu überlegt werden.

Und wie fangen Sie an?

Seien Sie mutig und fragen Sie sich und Ihr Team: «Wofür braucht uns der Kunde – und wird er uns dafür auch noch in 3, 5, 10 Jahren brauchen?»

Es ist eine Frage, die sowohl für erfolgreiche Organisationen als auch für Startups wie ein Kompass wirkt. Denn ein grosses Risiko der Digitalisierung ist es, sich in der Vielfalt der neuen Entwicklungen und Technologien zu verlieren. Wenn Sie aber anfangen, Dinge aus Kundenperspektive zu betrachten, sind Sie auf dem richtigen Kurs.

Das nötige Umdenken

Denken Sie dabei nicht unbedingt an Ihre Produkte, sondern an die Aufgaben, die der Kunde mit Ihren Produkten löst. Sicher kennen Sie bereits diesen Spruch: «Der Kunde braucht keine Bohrer, sondern Löcher.» Ich lade Sie ein, noch ein, zwei Schritte weiterzudenken: Wozu braucht der Kunde die Löcher? Wie viele? Wie oft? usw.

  • Wenn er z.B. ein Bild aufhängen will, reichen wahrscheinlich Hammer und Nagel oder vielleicht sogar Tesa-Powerstrips dazu
  • Wenn er die Löcher einmalig für ein Bücherregal braucht, kann er den Bohrer für einen Tag mieten, statt ihn zu kaufen
  • Wenn er eine komplizierte Aufgabe hat, wie z.B. ein Baumhaus für seine Kinder zu bauen, würde er vielleicht gerne einen Handwerker zu Rate ziehen und nicht nur einen Bohrer in der Hand halten

Fazit

Sie sehen, wenn man an konkrete Kundenbedürfnisse denkt, ergeben sich viele alternative Lösungen. Überlegen Sie, ob Sie diese Lösungen auch anbieten können und/oder wollen. Denn eins ist sicher: Früher oder später wird der Kunde auch selber darauf kommen und auf das Angebot umstellen, das besser zu seinen Bedürfnissen passt.

Diese Übung wird die Lernfähigkeit, Innovation und Nähe zum Kunden in Ihrem Team und Ihrer Organisation fördern. Wenn Sie dann merken, dass die bestehende Struktur und Silodenken Ihr Team daran hindert, laden wir Sie gerne ein, den nächsten Beitrag zur Unternehmenskultur zu lesen. In der Zwischenzeit sind Ihre Anmerkungen und Fragen selbstverständlich herzlich willkommen! Vielen Dank.


Über den Autor

Agnieszka Rychlewska

Für Agnieszka sind Menschen die wichtigste Ressource jeder Organisation und eine aktive Lernkultur die sicherste Erfolgsstrategie im Digitalzeitalter. Mit ihren interaktiven, teilnehmerzentrierten Kursen und Webinaren kommt sie dieser Bedürfnis entgegen und befähigt die Teilnehmer, das Gelernte rasch ins Tagesgeschäft umzusetzen.