Wie empfinden wir Stress, wie reagieren wir darauf und wie können wir ihm entgegenwirken?
Stress ist ein Alarmsystem des Körpers & eine der grossen Herausforderungen unserer Zeit. Doch hören wir darauf, was unser Körper uns zu sagen hat?
Evolutionswissenschaftler erklären Stress gerne anhand eines Bildes aus der Steinzeit, in dem der Mensch sich im Kampf gegen ein Mammut oder einen Säbelzahntiger der «fight oder flight»-Entscheidung stellen muss. Hat er Aussicht, den Kampf zu gewinnen oder rennt er um sein Leben? Diese Frage entschied damals über Leben oder Tod. In dieser immensen Stresssituation reagiert der Körper blitzschnell und stellt die nötigen Ressourcen zur Verfügung, um entweder zu kämpfen oder so schnell wie möglich zu fliehen.
Nach der lebensbedrohlichen Situation hat sich der Körper dann wieder regeneriert. Der damalige Stress war von kurzer Dauer bzw. stellte sich hauptsächlich bei der Jagd ein.
Wie empfinden wir Stress heute?
Heute geht es in unserem Alltag meist darum, Privat- und Berufsleben – die beide immer anspruchsvoller werden – unter einen Hut zu bekommen. Dabei entstehen zahlreiche Situationen, die uns oftmals über einen längeren Zeitraum hinweg die besagten Stresshormone entlocken. Stress ist ein Alarmsystem des Körpers – doch hören wir auf das, was unser Körper zu sagen hat? Während früher die Ausschüttung der Botenstoffe dem Jäger das Leben retten konnten, kann heute genau dieselbe Wirkungsweise das Gegenteil bewirken, denn wer Stress in einer Endlosschlaufe erlebt, schädigt langfristig seine Gesundheit.
Und genau das ist eine der grossen Herausforderungen unserer Zeit. Meist sind es nicht die Neuerungen oder Veränderungen an sich, die uns auf der Arbeit viel abverlangen, sondern vielmehr die Kombination aus Veränderung + Informationsmenge + Tempo + Druck.
Sollten Sie nun Ihre Arbeit aufgeben
und den ganzen Tag auf Erholung schalten?
Nein! Reflektieren Sie vor allem erst einmal,
wodurch Ihr Stress entsteht und ob Sie diesen
gegebenenfalls sogar als positiv empfinden.
Beantworten Sie für sich dazu folgende Frage:
Wie kommen Sie mit Veränderung klar?
Sind Sie eher für oder gegen Veränderung? Im ständigen Wandel unserer Arbeitswelt und auch der übrigen Digitalisierung um uns herum, können wir uns entweder freudig im Flow bewegen oder in Frust (und damit Stress) ausbrechen.
In unserer jüngsten Umfrage zu «Stress am digitalisierten Arbeitsplatz» zeigte sich, dass mehr als zwei Drittel der Digicomp Umfrageteilnehmer glauben, dass ihre aktuellen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht für die nächsten Berufsjahre ausreichen werden. Eine ständige Veränderungsbereitschaft wird somit unumgänglich sein. 91% der Befragten sagten zudem, dass die zu verarbeitende Informationsmenge immer mehr zunimmt und bei 88% sind Arbeitstempo und Zeitdruck gestiegen.
In allgemeinen Gesundheitsumfragen wird die ständige Erreichbarkeit als hoher Stressfaktor angesehen. E-Mails auf dem Handy zu empfangen und zu beantworten, ist heute eine weitverbreitete Selbstverständlichkeit. Und auch bei unserer Umfrage war dies bei ca. 2/3 der Umfrageteilnehmer der Fall. Ca. 84% werden häufig mit neuen Aufgabenstellungen konfrontiert. Dennoch freuen sich 76% über den digitalen Wandel in ihrer Arbeitswelt.
Den Sinn in ihrer Arbeit empfinden allerdings nur 48% der Umfrageteilnehmer «oft» und nur 14% «ständig». Somit sind 43% nur manchmal bis selten mit Freude bei der Arbeit. Alarmierend ist, dass sich 32% oft bis ständig ausgelaugt und gestresst fühlen und bei 40% ist dies manchmal der Fall. Des Weiteren schlafen 40% der Befragten schlecht.
Wie eine Situation empfunden wird, ist also immer situativ. Wie bereits in meinem Blog «Changemanagement» beschrieben, geben uns feste Strukturen einen gewissen Halt und dienen damit unserer inneren Ruhe. Andersherum gibt es jedoch auch jene unter uns, die das ständig Neue brauchen, um so richtig aufzublühen.
Was fühlt sich für Sie gut an? Was stresst Sie?
Stress wird in zwei Kategorien unterteilt
Eustress = positiver Stress, in dem Sinne, dass Sie sich in einem Hoch befinden. Wenn oder weil Sie lieben, was Sie tun, könnten Sie quasi mit Freude rund um die Uhr arbeiten. (Ausschüttung positiv wirkender Botenstoffe wie u.a. Serotonin und Dopamin.)
Distress = negativer Stress, in dem Sinne, dass Ihnen in diesen Zustand mindestens einer der oben genannten Faktoren fehlt. Sie sehen somit entweder wenig Sinn in Ihrer Arbeit oder können die Arbeit gegebenenfalls nicht bewältigen (fehlende Fähigkeiten oder Kenntnisse – wie bereits im Blog zum Thema «Salutogenese und Entstressung» beschrieben) oder Sie verstehen erst gar nicht, was Ihr Umfeld (z.B. Vorgesetzte) eigentlich von Ihnen will. (Ausschüttung von Stress-einleitenden Botenstoffen wie u.a. Adrenalin & Noradrenalin, was nach einer Zeit zum Verlust von Aufmerksamkeit & Leistungsfähigkeit führt)
Stress aus Sicht der modernen Medizin
Stress verursacht und begünstigt Krankheiten. Was kurzfristig sinnvoll, wichtig und teilweise sogar lebensnotwendig ist, wird auf Dauer jeden gesunden Organismus krank machen. Der oftmals hektische Lebensrhythmus und die Anspannungen in Berufs- und Privatleben nehmen mit jedem Mal mehr Einfluss auf Ihre Gesundheit. Das Immunsystem wird geschwächt, die «hauseigenen» Abwehrmechanismen können Sie nicht mehr schützen.
Stressoren und Reaktionen
Stressoren (= Faktoren, die Stress auslösen) sind wiederum individuell verschieden und werden von jedem Menschen anders wahrgenommen und verarbeitet. Was für den einen in einem Zusammenbruch enden kann, wird einen anderen vielleicht nur kurzfristig tangieren.
Der leistungsbezogene Alltag erfordert nahezu die gesamte Energie, weshalb es wichtig ist, mögliche Stressoren frühzeitig zu erkennen und effektive Massnahmen zum Stressabbau einzuleiten.
Häufige Stressoren
- Arbeits-, Freizeit-, Familien-, Verkehrs-, Behörden- und Prüfungsstress
- Den grössten emotionalen Stress empfinden wir beim Tod eines geliebten Menschen, bei einer Scheidung oder Trennung vom Partner
- Eigene Krankheit (an 6. Stelle)
- Verlust des Arbeitsplatzes (an 8. Stelle)
- Pensionierung (an 10. Stelle)
- Berufswechsel (an 18. Stelle)
Übrigens steht Heirat an 7. Stelle und Schwangerschaft an 12. Stelle der allgemeinen Stressskala.
Auszug aus einer Stress-Skala der amerikanischen Psychiater Th. Holmes und R. Rahe. Sie entwickelten diese Skala mit 43 Ereignissen, um das Ausmass von Stress messen zu können. Die Stresswerte werden von 0 bis 100 zugewiesen. Demnach ist der Stress umso grösser, je mehr Lebensbereiche den neuen Umständen angepasst werden müssen.
Reaktionen machen sich über vier Ebenen bemerkbar
Ein Stressor kann mit unterschiedlich starker Wirkung auf jeder der vier Ebenen Reaktionen hervorrufen. Diese vier Bereiche sind teilweise unabhängig voneinander, sie können sich jedoch auch gegenseitig wechselwirkend beeinflussen (Aufschaukelung, Teufelskreis). Rechtzeitiges Erkennen von Stresssignalen schützt vor Gefährdung durch Stress!
Über welche Ebene zeigt sich Stress bei Ihnen am ehesten?
1. Mentale/kognitive Stressoren & Reaktionen
Auf dieser Ebene laufen alle geistig-gedanklichen Vorgänge (Denk- und Wahrnehmungsprozesse) ab. Der Kopf denkt, das Unterbewusstsein lenkt … Ist z.B. das Selbstbewusstsein wenig ausgeprägt, können bereits einfache Situationen zu einer Stressreaktion führen, wie z.B. folgende Gedanken:
- Das geht sicher schief
- Das kann ich nicht
- Ich bin nicht gut genug
Die Wahrnehmung fokussiert sich auf das Problem und die damit stressauslösende Situation. Es folgt Gedankenkreisen, Gedankenchaos, Konzentrationsmangel und Gedächtnisstörungen bis hin zu Leere im Kopf.
2. Emotionale Stressoren & Reaktionen
Emotionen werden grob in angenehme (euphorische) und unangenehme (dysphorische) Gefühle eingeteilt. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die «Art der Emotion» sowie die «Stärke der Emotion».
Die 4 Grundemotionen drücken sich aus in:
- Angst/Verzweifelung
- Ärger/Wut
- Trauer
- Freude
Der amerikanische Psychologe Paul Ekman erweiterte und belegte die Grundemotionen empirisch um die Faktoren: Ekel, Verachtung und Furcht sowie generelle Traurigkeit.
Ist Ihnen bei diesen diversen Emotionseinteilungen etwas aufgefallen?
Nur eine Emotion ist wirklich positiv behaftet!
Was lösen die negativen Emotionen bzw. Ihre Gefühle (Ihr subjektives Empfinden einer Emotion) aus? Ist es: Hilflosigkeit, innere Unruhe, Unsicherheit, Selbstzweifel, Unzufriedenheit, Unausgeglichenheit, Lustlosigkeit, Enttäuschung, Schreck, Nervosität, Panik und Aggression? Und wie reagiert Ihr Körper reagiert darauf? Mit:
- Muskulären Reaktionen
- Flucht oder Angriff
- Gefühlsstau bis hin zum Zusammenbruch (Depression, Burnout)
3. Vegetative Stressoren & Reaktionen
Auf dieser Ebene ereignen sich alle Reaktionen des vegetativen Nervensystems und der damit verbundenen Organe, die i.d.R. nicht willentlich kontrollierbar sind. Die Stress-Alarm-Phase befindet sich in vollem Gang. Durch das Hormon Hydrocortison sinkt die Immunabwehr des Körpers. Eine erhöhte Erregung und psychosomatische Beschwerden treten auf:
- Herz- Kreislaufbeschwerden wie klopfen/stechen/rasen/stolpern. Beklemmendes Gefühl in der Brust sowie erhöhtes Infarktrisiko. (Allein in der Schweiz werden jährlich ca. 50’000 Herzinfarkte behandelt)
- Magen-Darm-Beschwerden durch erhöhte Salzproduktion des Magens, flaues Gefühl im Magen, Verdauungsbeschwerden, Durchfall, Übelkeit oder Erbrechen, Gastritis, Veränderung des Cholesterinspiegels
- Schlafstörungen, chronische Müdigkeit
- Sexuelle Funktionsstörungen
- Erhöhte Anfälligkeit für Infektionen
- Hautprobleme, übermässiges Schwitzen, Adern treten hervor
- Atembeschwerden, trockener Mund
4. Muskuläre Stressoren & Reaktionen
Dabei geht es um Reaktionen im Bereich der Skelettmuskulatur, also jene, die der willkürlichen Kontrolle unterliegen. Werden Muskeln durch einseitige körperliche oder psychische Belastung ständig angespannt, wird die Blutzufuhr durch zusammengepresste Blutgefässe gedrosselt. Dadurch gelangen zu wenig Sauerstoff und Nährstoffe in die Muskeln und die Abfallprodukte wie Milchsäure werden nicht ausreichend abgeführt – Schmerzen entstehen. Im Laufe der Zeit verselbstständigen sich die Schmerzen und treten auch ohne direkten Auslöser auf. Auf diese Weise entsteht beispielsweise Spannungskopfschmerz. Diese Schmerzen wirken wiederum auf unsere Psyche und der Teufelskreis ist in vollem Gang.
- Nervöse Gestik oder starre Mimik, weiche Knie, Tränen
- Unbemerktes Schulterhochziehen, nervöse Finger oder Füsse
- Zähneknirschen, verzerrtes Gesicht, Krampfneigung
- Ständiges Räuspern, Kloss im Hals, Stottern
- Spannungskopfschmerz, Rückenschmerzen, allgemeine Verspanntheit
- Zittern, Übelkeit, Erbrechen
Wie beenden Sie einen solchen Teufelskreis? (Falls Sie einmal oder ständig in einem solchen stecken.)
Entstressung – Stress entgegenwirken
Stress wird oftmals als «von aussen einwirkend» angesehen. Dies führt wiederum dazu, dass man sich fremdbestimmt und handlungsunfähig fühlt. Dies muss allerdings nicht so sein oder bleiben. Sie können Stress präventiv und auch akut entgegenwirken!
Wirksame Stressbewältigung erfordert
- Wahrnehmung durch Erkennen und Reflexion der Stressoren
- Kognitive Bewertung der emotionalen Empfindungen der «Situation»
- Analyse des eigenen Verhaltens
- Neue Handlungsmuster anlegen und verdichten
- Gezielte Entspannungsübungen
Im nächsten Blog werde ich Ihnen einige wirksame Handlungsweisen aufzeigen. Denn Stress ist individuell und umkehrbar.