Zertifizierungskurse in Requirements Engineering und Testing – eine sinnvolle Investition?

Es gibt verschiedene Gründe, Zertifizierungskurse in Requirements Engineering und Testing zu besuchen – eine sinnvolle Investition ist allemal.

Autor/in Silvio Moser
Datum 17.02.2017
Lesezeit 6 Minuten

Als Kursleiter frage ich die Teilnehmer oft, weshalb sie den Kurs besuchen. Einige kommen, weil sie ihr CV aufbessern wollen, andere, weil der Chef fand, sie sollten ihr Know-how vertiefen und die Dritten, weil sie es in der Praxis schon jahrelang anwenden, ohne jedoch über das theoretische Fundament zu verfügen. Unterschiedliche Gründe also, am Ende wollen aber alle das Zertifikat in der Hand halten.

Das sind in der Schweiz nicht wenige. Gemäss den SwissQ-Trends und Benchmarks in Software-Development 2016, haben über 50% der Requirements Engineers und Business-Analysten ein CPRE-Foundation-Level-Zertifikat und fast 90% der Tester ein ISTQB-Foundation-Level-Zertifikat. Die Zertifikatskurse sind aber nicht nur für Spezialisten empfehlenswert, sondern auch für alle in Projekte involvierten und interessierten Personen wie Projektleiter, Product Owner und Softwwareentwickler.

Wer CPRE und ISTQB schon kennt, kann die nächsten beiden Absätze überspringen. Für alle anderen gibt’s hier eine kurze Einführung:

International Software Testing Qualifications Board (ISTQB)

Das ISTQB ist eine Non-Profit-Organisation, die die Lehrpläne für die Zertifikate erstellt und via die nationalen Boards die Schulungsunterlagen und Anbieter akkreditiert. Die ISTQB-Zertifikate sind weltweit anerkannt und haben eine sehr grosse Verbreitung. Es gibt einen Foundation Level (FL) sowie diverse Extensions, Advanced Level und Expert Level. Nebst dem FL sind vor allem der Agile Tester und der Test Manager beliebt. Auf swisstestingboard.org finden Sie weitere Informationen zu den einzelnen Lehrplänen.

Certified Professional for Requirements Engineering (CPRE)

Das CPRE-Ausbildungsschema stammt vom IREB (International Requirements Engineering Board). Es ist ähnlich dem ISTQB organisiert und ebenso weltweit anerkannt. Es gibt einen Foundation Level und Advanced Levels. Weitere Zertifikate sind in Vorbereitung. Mehr Infos gibt’s unter ireb.org.

Prüfungsangst?

Der Foundation Level gibt einen guten Überblick über die Themen des Testings bzw. Requirements Engineerings und ist geeignet, ein gemeinsames Verständnis der Thematik zu vermitteln. Mit dem Bestehen der Zertifikatsprüfung verhält es sich ähnlich wie mit der Theorieprüfung zum Erlangen des Fahrzeugausweises; man ist mit der Basistheorie vertraut, aber ohne die entsprechende Praxiserfahrung ist man noch nicht qualifiziert.

Trotzdem ist die Prüfung kein Zuckerschlecken. Es gilt, unterschiedlich anspruchsvolle Multiple-Choice-Fragen zu beantworten. Man kann die Prüfung zwar ohne Kurs absolvieren, das geht aber nicht ohne intensives Büffeln. Zudem verpasst man die Chance, sich mit Teilnehmern aus anderen Branchen und mit verschiedenen beruflichen Hintergründen auszutauschen. Es werden Erfahrungen durch die Teilnehmer (inklusive Kursleiter) aus der Praxis geteilt und diskutiert. Man kann Diskussionen über die Themen führen und das bisherige Wissen mit anderen teilen. Aber auch mit dem Besuch des Kurses müssen die Teilnehmer ein gewisses Mass an Selbststudium betreiben.

Die auf dem FL aufbauenden Module des Advanced Level (AL) gehen detaillierter auf einzelne Themen ein. Der AL setzt mehrjährige Berufserfahrung in der Thematik voraus. Bei ISTQB muss eine mehrstündige Multiple-Choice-Prüfung abgelegt werden. Bei IREB dauert diese «nur» 75 Minuten, dafür muss zusätzlich innerhalb eines Jahres eine Hausarbeit eingereicht werden.

Mein Beitrag als Referent

Die Rolle als Trainer ist eine willkommene, aber auch anspruchsvolle Abwechslung zum Beratungsalltag. Je nach Teilnehmerkreis sitzen im Kurs Berufskolleginnen und -kollegen mit teils langjähriger Berufserfahrung, die das Zertifikat erlangen wollen. Eine der grössten Herausforderungen ist es, die Teilnehmer aktiv in den Kurs einzubinden und das Wissen im Raum zu nutzen. Jeder Kurs ist in diesem Sinne einmalig und verfolgt trotzdem dasselbe Ziel: die Teilnehmenden erfolgreich auf die Zertifikatsprüfung vorzubereiten.

Wichtig ist es auch, auf den Unterschied zwischen Theorie und Praxis hinzuweisen. Jedes Unternehmen hat einen anderen Kontext sowie Maturitätsgrad und verwendet unterschiedliche Begriffe und Vorgehen. Zurück zum Vergleich mit der Fahrprüfung. Die Theorie ist für alle gleich, aber in der Praxis muss ich den Fahrstil meinem Umfeld anpassen. Eine Passfahrt lässt sich nicht mit einer Fahrt quer durch Zürich vergleichen.

Brauche ich ein Zertifikat?

Ob ein Zertifikat nachweist, dass man sich in einem Themengebiet auskennt, ist umstritten. Tatsächlich kann man die Prüfung – zumindest auf Foundation Level – auch durch intensives Auswendiglernen bestehen. Die Kurse füllen den Werkzeugkoffer mit einer Vielzahl von Methoden und Techniken. Je nach Vorhaben, kommen davon andere zum Einsatz. Es hängt letztlich vom einzelnen Teilnehmer ab, wie viel man profitiert, in dem man den Bezug zur Praxis schafft, sprich die passenden Werkzeuge aussucht. Und ja, im Lebenslauf macht sich ein Zertifikat immer gut.


Autor/in

Silvio Moser

Silvio Moser ist Co-Gründer von SwissQ. Zusammen mit Adrian Zwingli hat er seit 2006 das Unternehmen auf- und ausgebaut. In seiner über 20-jährigen Karriere hat er die Softwareentwicklung in ihrer ganzen Vielseitigkeit kennengelernt: als Entwickler, Business-Analyst, Tester und Projektleiter. Seit 1997 war er in verschiedenen Beratungs- und Management-Positionen in der SW-Qualitätssicherung tätig, u.a. als Leiter eines Test Competence Centers in einem Grossunternehmen. Als CTO sorgt er bei SwissQ Consulting AG dafür, dass die Infrastruktur im Unternehmen reibungslos funktioniert und unterstützt seine Kollegen bei der Entwicklung neuer Dienstleistungen und Ausbildungen. Daneben ist er als Managementberater unterwegs und auch immer wieder als Referent tätig. Silvio ist eidg. dipl. Wirtschaftsinformatiker und hat einen Master in Business Process Engineering.