Social Media befeuert die Polarisierung

Autor Ricardo Schranz
Datum 12.09.2016
Lesezeit 7 Minuten

In einem Pausengespräch äusserte sich neulich ein Kollege – um hier zu leben und zu arbeiten ist er vor knapp zwei Jahren aus Deutschland in die Schweiz gezogen – über sein Empfinden gegenüber der direkten Demokratie. Dabei meinte er, dass er früher mit grosser Hochachtung und auch einer gehörigen Portion Neid auf unser Modell der direkten Mitbestimmung geschaut habe.

Allen Deutschen, wenn nicht sogar allen Bürgern Europas oder sogar der Welt ginge es so, sofern diese auch Kenntnis von unserem einzigartigen Modell der Gestaltung des politischen Alltags hätten. Hier angekommen stelle er nun aber fest, dass die direkte Demokratie eigentlich bloss in recht eingeschränktem Masse funktioniere. Soweit er bisher beobachten konnte, seien die Massenmedien ausgesprochen stark an der Meinungsbildung beteiligt und beeinflussen eigentlich zum Vornherein den Ausgang politischer Abstimmungen. Mit Massenmedien meinte er namentlich den „Blick“ und das Gratisblatt „20 Minuten“.

Zugegeben! Würde ich mich ausschliesslich durch die genannten zwei Publikationen informieren lassen, hätte ich wohl ebenfalls ein anderes Weltbild und als in der Schweiz wohnhafter Ausländer wohl auch einen anderen Eindruck von der politischen Stimmung im Land. Eigentlich dürfte man meinen, es herrsche grenzenlose Vielfalt, was die Versorgung mit Informationen zum Tagesgeschehen anbelangt. Das Internet erlaubt uns den Zugriff auf nahezu unendlich viele Publikationen aus allen Teilen des Landes. Artikel können kostenlos gelesen werden, Podcasts mit Newssendungen stehen zum Abruf bereit und die Fernsehveranstalter ermöglichen den Zugriff auf deren Produktionen über eigene Mediatheken. Content on Demand ohne Einschränkungen; ganz zu schweigen vom linearen Angebot, also dem klassischen Radio und Fernsehen, welches ja ebenfalls noch da ist.

Dennoch scheint der Zugang zu Information heute ziemlich einseitig zu erfolgen. Es fehlen wohl die Leuchttürme von einst, welche uns zuverlässig und seriös mit dem Neuesten des Tages versorgt haben. Oder ist es einfach das fehlende Bewusstsein, dass solche Leuchttürme überhaupt vorhanden sind? Die Kenntnis darüber dürfte wohl in der Tat bei grossen Teilen der heranwachsenden Generation fehlen, verkörpern doch öffentlich-rechtliche Sendeanstalten – also in der Schweiz die SRG – ein eher traditionelles Image und wirken auf bestimmte Zielgruppen irgendwie langweilig. Daneben gibt es zudem noch jene Kreise, welche sich gegenüber diesen Veranstaltern grundsätzlich verweigern. Die Gründe dafür können im Misstrauen gegenüber dem „Staatsfunk“ liegen oder im Glauben, die öffentlich-rechtlichen Medien seien „links besetzt“ – oder auch in beidem gleichermassen.

Auf breiter Basis Vertrauen schaffen und sich als Medienmarken bei der jüngeren Generation etablieren? Diesen Erfolg ausweisen konnten also lediglich die für „Fast-Food News“ bekannte Pendlerzeitung „20 Minuten“ und der für seine Schlagzeilen in schwarzen Lettern auf gelbem Hintergrund bekannte „Blick“, welcher abends ebenfalls mit einer kostenlosen Zeitung auf Leserfang geht. Mit fast einer halben Million Likes bei Facebook ist “20 Minuten” so denn auch in den sozialen Medien ausgesprochen dominant vertreten und sucht hier eigentlich seinesgleichen. Die Präsenz im Nachrichtenstrom der User ist dem Blatt somit sicher.

Keine Meinungsvielfalt im Datenstrom

Es wird also „geliked“ was einem bestens vertraut ist. Die User folgen bekannten Inhalten, lesen eifrig in den abgegebenen Kommentaren und geben gleich noch ihren eigenen Senf dazu ab. Wem das Treiben zu bunt wird, der wendet sich ab und sucht nach anderen Newsquellen. Doch auch hier bewegen sich die User meist unter seinesgleichen. Meinungsvielfalt sieht jedenfalls anders aus.

Damit nicht genug, denn es kommt noch eine weitere Dimension hinzu. Social Media wird schliesslich nicht nur von den klassischen Massenmedien als weiterer Distributionskanal genutzt. Auch die eigentlichen Akteure – also die Politiker und die Parteien, um jetzt mal bei unserem Beispiel zu bleiben – tummeln sich ebenso fleissig auf den Social Media Plattformen. Und es liegt auf der Hand: Kaum jemand folgt einem Politiker, den er nicht mag. Selbiges gilt für Schauspieler, Künstler oder Sportler. Die tägliche Dosis auf dem Newsfeed sorgt de facto dafür, dass die persönliche Meinung eigentlich schon gemacht ist.

Geht es also darum, eine einigermassen ausgewogene Berichterstattung sicherzustellen, dann versagt Social Media kläglich. Der vielbeschworene Algorithmus ist jedenfalls nicht darauf programmiert. Content Produzenten aller Couleur sind entsprechend gefordert, doch dürfte es kein leichtes Unterfangen sein, sich irgendwie in den Newsstream der breiten Masse zu bewegen. Wenn man zudem unpopuläre Positionen einnimmt, dürfte dieses Bemühen schlicht zu einem Ding der Unmöglichkeit werden.

Polarisierung nicht aufzuhalten. Oder etwa doch?

Den traditionellen Medienhäusern bleibt nichts anderes übrig, als sich auch diesen Veränderungen zu stellen. Das Gegenmittel dürfte Authentizität heissen. Es führt kein Weg daran vorbei, seinen Prinzipien treu zu bleiben und sich durch sachliche, nüchterne Information weiterhin einen Namen zu machen. Vielleicht sollten die Medienhäuser aber auch aktiver ins Geschehen eingreifen, bei Diskussionen ebenfalls partizipieren und sich so in den Wahrnehmungsbereich der User bewegen. Verschiedene Politiker verstehen dies bereits bestens und machen auch rege von dieser Möglichkeit Gebrauch. Immerhin sind die meisten Journalisten aktive Nutzer von Twitter. Nicht wenige nutzen diese Plattform auch zur Interaktion mit ihren Lesern. Doch sind Journalisten keine Marken; sie haben bestenfalls eine Fangemeinde.

Grund zur Hoffnung

Nun will ich Social Media nicht als Totengräber der Demokratie verschreien. Eigentlich wären die Voraussetzungen dazu da, Demokratie auch in den sozialen Medien aktiv auszuleben. Und so gibt es auch positive Aspekte zu erwähnen, welche durchaus einen Beitrag zur Förderung der Meinungsbildung leisten oder zumindest den politischen Diskurs anheizen. So hat namentlich das Campaigning mit Social Media völlig neue Möglichkeiten erhalten, um sich bei potentiellen Wählern und Stimmbürgern Gehör zu verschaffen. Noch vor wenigen Jahren waren politische Bewegungen und Gruppierungen darauf angewiesen, dass die Massenmedien über ihre Aktivitäten berichten. Dies hat sich mit den sozialen Medien grundlegend geändert. Die Bewegung Operation Libero versteht es ausgezeichnet, die neuen Möglichkeiten zu nutzen. So hat die Bewegung beim Nein zur Durchsetzungsinitiative wohl einen nicht unwesentlichen Beitrag geleistet. Und bei der bevorstehenden Abstimmung zur SVP-Initiative „Landesrecht vor Völkerrecht“ setzt sie sich erneut beispielhaft in Szene. Ihr neuestes Kampagnenvideo ist selbstverständlich auch bei YouTube zu sehen und wird schon wieder ganz aktiv geteilt.

 

 


Über den Autor

Ricardo Schranz