Was ist neu in SAFe 6.0 und warum ist das wichtig?
SAFe ist der weltweite Standard für Unternehmen, um Business Agility in grossem Massstab zu erreichen. Nun ist das Framework in seiner sechsten Version erschienen. Ein gelungenes Update? Unser SAFe-Trainer Vincenzo Parisi ordnet die wichtigsten Neuerungen von SAFe 6 ein.
Früher oder später trifft jeder, der über moderne Arbeitsorganisation spricht, auf SAFe. Das Scaled Agile Framework, kurz SAFe, hat sich in den letzten zehn Jahren zum bekanntesten Framework für agiles Arbeiten entwickelt. Es ist der weltweit am häufigsten eingesetzte Ansatz zur Skalierung von Lean- und Agile-Praktiken und verspricht allein durch die Fülle an Methoden eine gute Anwendbarkeit.
Kürzlich ist die sechste Version von SAFe erschienen. Welche Änderungen SAFe 6.0 mit sich bringt, worin die Weiterentwicklung liegt und was nun besser gelöst ist, beleuchtet dieser Beitrag. Dabei richtet sich der Artikel sowohl an Personen, die zum ersten Mal mit SAFe in Kontakt kommen, als auch an solche, die SAFe aus früheren Versionen kennen.
Abbildung 1: SAFe Big Picture (© Scaled Agile, Inc.)
Die 6 wichtigsten Veränderungen in SAFe 6.0 |
1. Business Agility als oberstes Ziel von SAFe 6.0
An erster Stelle der neuen Version von SAFe steht der neue Fokus auf Business Agility. Agilität wird in SAFe als die Fähigkeit beschrieben, Geschäftschancen im Fluss zu realisieren.
Abbildung 2: Business Agility Value Stream – ein schnellerer Weg, neue Geschäftsmöglichkeiten zu nutzen (© Scaled Agile, Inc.)
SAFe geht noch einen Schritt weiter: Erklärtes Ziel ist es, ein Produkt innerhalb von zwei bis sechs Monaten von der Idee bis zum Kundenfeedback entwickeln zu können! Versucht man SAFe auf eine Kennzahl zu komprimieren, erhält man eine Art «Value per Time».
Diese Fähigkeit wird nicht durch eine einfache präskriptive Organisation von Rollen und Prozessen erreicht, sondern durch das Zusammenführen zweier Prinzipien: dem Lean und dem Agile Mindset.
«Lean Thinking» beschreibt die kontinuierliche und unerbittliche Ausrichtung auf den Wert und die Vermeidung von Verschwendung. «Agile Values» beschreibt die Fähigkeit, sich anzupassen und zusammenzuarbeiten, um in Iterationen greifbare Ergebnisse zu erzielen. Das Lean-Agile Mindset ersetzt das bisherige SAFe House of Lean.
Abbildung 3: Lean Thinking und Agile sind die Kernbausteine von SAFe (© Scaled Agile, Inc.)
Dementsprechend wurde auch das sechste Prinzip überarbeitet und heisst nun «Make value flow without interruptions».
2. Die neue alte Bedeutung agiler Teams
Fast alle Rollen in SAFe 6.0 wurden im Vergleich zur Vorgängerversion überarbeitet. Allen Überarbeitungen gemeinsam ist die Betonung der zentralen Bedeutung agiler Teams. Es wird noch klarer, dass es keine Hierarchie gibt, in der einzelne Rollen die agilen Teams kommandieren. Vielmehr wird verdeutlicht, dass nur durch eine ausgewogene Koordination die gemeinsame Lieferung von Ergebnissen möglich ist – und dass ohne diejenigen, die die Arbeit letztendlich leisten, nichts geht.
Zur Beschreibung der Rollen wurden die so genannten «Wheels of Responsibility» eingeführt. Auf den Detailseiten der einzelnen Rollen geben diese einen Überblick über die Verantwortungsbereiche, hier am Beispiel des Scrum Masters:
Abbildung 4: Lean Thinking und Agile sind die Kernbausteine von SAFe (© Scaled Agile, Inc.)
Diese Rolle wurde in Team Coach umbenannt, um zu signalisieren, dass Teams neben Scrum auch gleichwertig mit Kanban arbeiten können. Eine weitere Verbesserung!
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3. Die Einführung von 8 Flow-Beschleunigern (Flow Accelerators)
An einigen Stellen in der Abbildung der «SAFE Big Picture» (siehe Abbildung 1 oben) fällt das Wort «Flow» ins Auge. Insgesamt acht sogenannte «Flow Accelerators» sind neu in SAFe 6.0 zu finden. Diese beschreiben erfolgreiche Praktiken, um mehr Wert zu liefern, möglichst ohne Unterbrechungen und mit weniger Verschwendung. Diese sollen den Flow der Teams, des ART, der Lösung und des Portfolios unterstützen.
Abbildung 5: Scrum Master / Teamcoach Verwantwortlichkeiten (© Scaled Agile, Inc.)
4. SAFe Beyond IT
Die vierte Neuerung beschreibt, wie SAFe nicht nur in der (IT-)Entwicklung, sondern in der gesamten Organisation eingesetzt werden kann. Auch wenn der Titel hochtrabend tönen mag, fasst SAFe an dieser Stelle einige Informationen zusammen, die vorher verstreut waren.
Abbildung 6: Erweiterte Business and Technology Patterns (© Scaled Agile, Inc.)
Es wird deutlich: Es ist nicht Business oder Technology. Es ist Business und Technology. SAFe ist nicht nur für die Entwicklung neuer Lösungen gedacht, sondern kann auch für den Betrieb bestehender Lösungen eingesetzt werden. In der Artikelserie «SAFe Beyond IT» finden sich einige Beiträge über die Anwendung von SAFe über die (IT-) Entwicklung hinaus, beispielsweise in HR, Finance oder Marketing.
5. AI, Big Data, Cloud – gekommen um zu bleiben?
Manche Begriffe erleben einen Hype, sind dann in aller Munde und irgendwann wieder vergessen. Andere kommen, bleiben und verändern die Welt. SAFe bringt mit AI, Big Data und Cloud gleich drei Begriffe in die sechste Version, die sowohl das Potenzial zum Hype als auch zum tiefgreifenden Wandel haben. Sie werden mit Elementen und Praktiken verbunden, die bereits in früheren Versionen vorhanden waren.
- Für die Cloud beschreibt SAFe den Einsatz von Werkzeugen für eine verbesserte Delivery Pipeline. Es wird argumentiert, dass sie eine inkrementelle Entwicklung unterstützen, nicht zuletzt, weil sie die Ablösung alter Tools erleichtern sollen.
- Big Data wird als Ansatz zum besseren Verständnis von Kunden und zur Analyse von Märkten vorgestellt und findet sich daher auch im Portfolio wieder.
- Ebenso soll Künstliche Intelligenz (KI) helfen, Produkte besser zu entwickeln. SAFe empfiehlt, neben der Technologie auch ein Regelwerk einzuführen, das beschreibt, was die künstliche Intelligenz wie entscheidet.
6. Neue Begriffe in SAFe 6
In sechs Versionen ist SAFe tendenziell in Umfang und Detail gewachsen. Erfreulicherweise wurden in der sechsten Version neben den Neuerungen auch einige Inkonsistenzen älterer Versionen beseitigt. Die wichtigsten Änderungen: Alles, was bisher «Program» hiess, heisst nun «ART», zum Beispiel «ART Kanban» statt «Program Kanban». Der Begriff «Solution Train » wurde verschlankt und heisst jetzt nur noch «Solution».
Hier die komplette Übersicht der geänderten Begriffe:
Abbildung 7: Standardisierte Terminologie (© Scaled Agile, Inc.)
Kritik und Fazit
Kritiker werden sich wahrscheinlich weiterhin an den Prinzipien von SAFe stören, wie z.B. dem Dual Organization Approach, der Trennung von Development und Operational Value Stream. Aber auch einige Neuerungen dürften auf Kritik stossen. Vor allem bei Big Data und AI, die oberflächlich erscheinen. Dennoch ist der Artikel zu AI als grundlegende Einführung in das Thema lesenswert.
Einige Unklarheiten bleiben auch in SAFe 6.0 bestehen oder wurden erst neu geschaffen. Bei Big Data werden neue Rollen beschrieben, die nirgends auftauchen, beim Portfolio ein Solution Portfolio Management, das sonst nicht integriert ist. Und nicht zuletzt hat die Rolle der meisten Personen, die in einer SAFe-Organisation arbeiten, schlicht keinen Namen: Wie heissen die Rollen im agilen Team?
Trotz der Kritik wurde in der neuen Version die Lean-Agile Basis klarer herausgearbeitet und einige Inkonsistenzen beseitigt. SAFe hat also quantitativ kaum, aber qualitativ deutlich gewonnen. Viele der Änderungen gehen zudem auf das Feedback von Unternehmen zurück, die SAFe anwenden.
Insgesamt ist SAFe deutlich besser geworden. Und ist offenbar gekommen, um zu bleiben. Eine zertifizierte Ausbildung in SAFe 6.0 lohnt sich jetzt mehr denn je.
Bereit für den Wandel, bereit für SAFe 6.0 |